Julia Extra Band 0347
heute Abend“, murmelte sie verlegen.
Aber nicht so sehr wie ich, dachte Roberto, während er beobachtete, wie sie die Treppen hinaufeilte. Seine anfängliche Feindseligkeit war dem Wunsch gewichen, die kluge Katherine Lister näher kennenzulernen. Die Quinta war ein wunderschöner, friedlicher Ort, aber einsam. Mit bitterem Lächeln hinkte er zu seinen Räumlichkeiten. Früher hatte er sich manchmal nach Privatsphäre gesehnt. Seine Mutter hatte ihn immer wieder gewarnt, er solle mit seinen Wünschen achtsam sein, da sie in Erfüllung gehen könnten. Und wie immer hatte sie recht behalten. Er würde James Massey mit Freuden jede Summe zahlen, um Katherine noch länger hierbleiben zu lassen – und sei es auch nur, um beim Dinner einen Gesprächspartner zu haben. Ja, sie ist eine ungewöhnliche Frau, dachte er. Eine Expertin auf dem Gebiet, das mich so sehr interessiert. Und falls meine Narbe sie abstoßen sollte, so verbirgt sie das gut. Es war seltsam, einer Frau zu begegnen, die keinerlei Anstrengung unternahm, ihn mit ihren körperlichen Reizen zu umgarnen. Offenbar hatte sie noch nie von ihm gehört, obwohl das eigentlich nicht überraschend war. Seine Karriere war vor einiger Zeit jäh zu Ende gegangen. Bestimmt erinnerte sich kaum noch jemand an ihn.
Im Pavillon angekommen, machte sich Katherine mit neuem Schwung an die Arbeit.
Bei einer stärker verschmutzten Leinwand hätte Katherine den Reinigungsprozess wiederholt, doch jetzt konnte sie gleich zum nächsten Schritt übergehen. Sie setzte eine Schablone – eine Plastikkarte mit einem Loch darin – auf einen Teil des dick übermalten Mantels, tauchte ein Wattestäbchen in Azeton und betupfte damit vorsichtig den in der Öffnung liegenden Ausschnitt. Die Wirkung war sensationell. Die Übermalung musste innerhalb der letzten fünfzig Jahre aufgetragen worden sein, da sie innerhalb der Öffnung wie durch Zauberhand verschwand und darunter eine viel hellere Farbpigmentierung enthüllte. Sorgsam arbeitete sich Katherine mit der Schablone von Abschnitt zu Abschnitt, machte dann ein Foto und schickte es sofort per E-Mail an James, um dessen Meinung zu hören.
Binnen weniger Minuten rief James sie an. „Da bist du an ein interessantes Werk geraten. Die Farbpigmentierung sieht ganz nach achtzehntem Jahrhundert aus. Zehn zu eins, dass du irgendwo Schäden in der Leinwand finden wirst. Frag de Sousa, ob du weitermachen sollst.“
„Er hat bereits über eine Verlängerung meines Aufenthalts gesprochen – deine Zustimmung vorausgesetzt.“
„Ach!“ Eine Pause trat ein. „Nur interessehalber, wie alt ist er, und gibt es eine Senhora de Sousa?“
„Er ist Anfang oder Mitte dreißig, und falls es eine Ehefrau geben sollte, so wohnt sie nicht hier. Also, bis später.“
Aus den Augenwinkeln nahm Katherine einen Schatten wahr. Sie drehte sich um und entdeckte Roberto in der Tür.
„ Perdoa-me, ich wollte nicht lauschen, aber …“
„Sie haben gehört, was ich gesagt habe?“, fragte sie peinlich berührt.
Er nickte. „Ist Ihr Geliebter eifersüchtig, weil Sie in meinem Haus wohnen?“
„Ich habe mit James Massey telefoniert!“
Seine Miene entspannte sich etwas. „Er hat sich nach mir erkundigt?“
„Ja. Tut mir leid.“
„ Por que? Es ist doch normal, dass er sich für Sie verantwortlich fühlt.“ Roberto drehte sich um, da Jorge mit einem Tablett auftauchte. „Ich wollte Ihnen beim Tee Gesellschaft leisten.“
Er zog eine Braue hoch. „Und überprüfen, was ich gemacht habe?“
„Exatamente.“
„Nun, viel ist es nicht. In dieser Phase gehe ich sehr behutsam vor.“
Roberto musterte die kleine Fläche, die sie freigelegt hatte. „Haben Sie nur diesen winzigen Ausschnitt fotografiert?“ Er setzte sich neben sie. „Die Farbe ist dort heller. Hat das etwas zu bedeuten?“
„Eine ganze Menge. James ist wie ich der Meinung, dass es sich um Farbpigmente aus dem achtzehnten Jahrhundert handelt.“ Sie schenkte ihnen beiden Tee ein. „Wollen Sie das Gemälde direkt an James’ Restauratorin schicken oder soll ich weitermachen, bis ich eine genauere Vorstellung habe, was sich unter der Übermalung verbirgt? Zur Reparatur müssen Sie es so oder so geben.“
„Reparatur?“, fragte er brüsk.
„Ja. Es sind wahrscheinlich Schäden vorhanden. Risse in der Leinwand oder sogar Löcher.“
Roberto sah sie entsetzt an. „ Deus! Ist in so einem Fall eine Reparatur überhaupt möglich?“
„Sicher. James’ Restauratorin kann Wunder
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