Julia Extra Band 0347
bewirken.“
„Könnten Sie den Künstler identifizieren, wenn Sie die Übermalung entfernen?“
„Gut möglich. Aber es wäre nur eine vorläufige Meinung“, warnte sie. „Also, soll ich weitermachen?“
„Ja. Ich kann es kaum erwarten, unseren jungen Mann in seinen richtigen Farben zu sehen.“ Er stand auf. „So, jetzt werde ich Sie wieder Ihrer Arbeit überlassen.“ Auf dem Treppenabsatz drehte er sich noch einmal um. „Wenn Mr Massey noch einmal anruft, dann sagen Sie ihm, dass die einzige Senhora de Sousa in meinem Leben meine Mutter ist. Ich hatte vor einigen Jahren einmal für kurze Zeit eine Ehefrau, aber wie das Schicksal so spielt …“
Katherine erschrak. „Verzeihung …“
„Nein, das haben Sie falsch verstanden“, erwiderte er gelassen. „Mariana ist nicht tot. Wir sind geschieden.“ Er suchte ihren Blick. „Teilen Sie Mr Massey auch mit, dass Sie hier sicher sind. In meinem Haus wird Ihnen nichts geschehen.“
Nachdem er gegangen war, fiel es Katherine schwer, sich wieder zu konzentrieren. Wenn sie das nächste Mal mit James telefonierte, würde sie darauf achten, dass sie außer Hörweite war. Doch als kurz darauf das Telefon klingelte, war nicht James, sondern Andrew am Apparat. Wie lästig! dachte Katherine.
„Warum zum Teufel rufst du nicht an, Katherine?“, schimpfte er. „Meinst du nicht, dass ich mir Sorgen mache?“
„Ich habe dir gleich nach der Ankunft eine SMS geschickt …“
„Und mich danach komplett vergessen!“
„Wenn du dir tatsächlich Sorgen machst, hättest du ja anrufen können.“
„ Du hättest anrufen müssen! Schließlich bist du einfach abgereist, ohne dich auch nur mit einem Wort für den verpatzten Opernbesuch zu entschuldigen!“
Allmählich hatte Katherine die Nase voll. „Herrgott noch mal, Andrew! Was kann ich dafür, dass James krank wurde? In die Oper können wir immer gehen!“
„Verstehe“, sagte er beleidigt. „James ist dir offenbar wichtiger als ich.“
„Es reicht, Andrew. Ich habe keine Zeit für solche …“
„Nein! Bitte, leg nicht auf!“, fiel er ihr ins Wort. „Es tut mir leid, Schatz.“
„Ich habe zu tun. Bis dann.“ Ehe er noch etwas sagen konnte, beendete sie das Gespräch.
Konzentriert arbeitete sie weiter an dem Bild. Als das Licht zu schwinden begann, tauchte Jorge mit einer Nachricht von Roberto auf.
„Senhor Roberto fragt, ob Sie für heute nicht aufhören wollen, Doutora. “
Nach einem Blick auf die Uhr richtete sich Katherine seufzend auf und nahm Kopflupenband und Schutzmaske ab. „Ich räume nur kurz auf und decke das Bild ab. Können Sie nachfragen, wo es über Nacht gelagert werden soll?“
„ Sim, Senhora. Soll ich danach Ihre Ausrüstung zurückbringen?“
„Der Werkzeugkoffer und das Stativ können hierbleiben. Ich nehme nur meine Kamera und den Laptop mit.“ Mit einer Grimasse deutete sie auf den überquellenden Mülleimer. „Ein ziemliches Chaos, was?“
Jorge lächelte. „Nao importa.“
Katherine packte ihre Arbeitsutensilien in den Koffer, setzte ihre Brille auf und wandte sich wieder dem Gemälde zu. Morgen werde ich wissen, wer dich gemalt hat, versprach sie dem jungen Mann in Gedanken. Und vielleicht finde ich sogar heraus, wer du bist.
„Dr. Lister!“ Roberto erklomm die Stufen zum Pavillon. „Sie haben viel zu lang gearbeitet und jetzt …“ Beim Anblick des Gemäldes brach er entsetzt ab.
„Keine Sorge. Im Moment sieht es schrecklich aus, aber wenn ich mit meiner Arbeit fertig bin, wird Ihr junger Mann in neuem Licht erstrahlen.“ Sorgfältig packte sie das Gemälde ein. „Wo wollen Sie ihn über Nacht aufbewahren?“
„Im sala. Kommen Sie, ich zeige Ihnen den Raum.“ Roberto nahm das Bild so ehrfürchtig von Katherine entgegen, dass sie sich ein Grinsen verkneifen musste.
„Was hat Sie an dem Bild eigentlich so fasziniert?“, fragte Katherine, als sie durch die Halle gingen. „Es ist nicht jedermanns Geschmack.“
„Irgendetwas am Gesicht des Mannes hat mich tief berührt, sogar durch den Bildschirm hindurch. Früher bin ich bei jeder sich bietenden Gelegenheit in Galerien und Kunstausstellungen gegangen, weil mich gemalte Porträts ungemein faszinieren. Heutzutage mache ich das über das Internet.“
Durch eine hohe Flügeltür gelangten sie in einen großen, formell eingerichteten Salon. Neben dem Kamin hing ein Gemälde, das eine verträumt lächelnde junge Frau in einem hauchdünnen weißen Gewand darstellte. „Wer ist sie?“, fragte
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