Julia Extra Band 159
hinter ihr her durch den winzigen Flur ins Wohnzimmer.
Der nicht sehr große Raum wurde nur von dem warmen Schein einer Tischlampe erhellt. Die Wände waren gekalkt, auf den gesandstrahlten Holzdielen lagen mehrere gelbe Flickenteppiche. Das Sofa war mit einem bunten Batikstoff bezogen, davor standen ein kleiner Glastisch und zwei Rattansessel. Dünne weiße, bodenlange Gardinen hingen vor den beiden Fenstern, die zum Innenhof an der Rückseite des Cottage hinausgingen. Obwohl alles sehr sauber und ordentlich war, hatte das Häuschen offensichtlich schon bessere Tage gesehen.
Cass bot Gifford an, auf dem Sofa Platz zu nehmen, während sie sich in einen der Rattansessel setzte. „Was wolltest du mir denn mitteilen?"
„Ich möchte dir etwas erklären. Neulich fragtest du mich, ob ich nicht Anteil an Jacks Zukunft nehmen wollte. Und da sagte ich, das sei keine gute Idee, erinnerst du dich?"
Sie biß sich auf die Lippen. Ihr war klar, daß die Ereignisse des heutigen Tages Gifford wahrscheinlich dazu veranlaßt hatten, intensiver über seinen Sohn und seine Beziehung zu ihm nachzudenken. Doch sie war es leid, nun irgendwelche Gründe, Erklärungen und Entschuldigungen, warum es keine gemeinsame Zukunft geben könnte, anhören zu müssen. Außerdem war sie müde.
„Tut mir leid, aber ich will nicht ..."
„Ich habe das gesagt, weil ich ...", die Worte schienen ihm im Halse steckenzubleiben, ,,... weil ich behindert bin."
„Das würde Jack nicht stören", entgegnete sie ungeduldig.
„Ihn vielleicht nicht, aber mich! Ich sah Jack schon vor mir, geschlagen mit einem Vater, der hinkte, der nicht richtig mit ihm Baseball oder Fußball spielen konnte, so wie andere Väter. Dieser Gedanke ging mir ziemlich an die Nieren." Er sah verlegen zu Boden. „Ich beschloß, mich besser aus seinem Leben herauszuhalten, denn ich wollte Jack nicht in Verlegenheit bringen."
Cass schüttelte den Kopf. „Gift, er ..."
„Laß mich ausreden. Ich war der Meinung, daß ich, wenn ich nicht ein richtiger, ein perfekter Vater für ihn sein kann, dann wollte ich lieber überhaupt kein Vater sein. Was natürlich Blödsinn ist, denn welcher Vater ist schon perfekt?" Er verzog abweisend das Gesicht. „Meiner ist es jedenfalls nicht."
Er schwieg eine Weile und fuhr dann fort: „Aber dann passierten zwei Dinge. Zuerst rücktest du mir auf den Pelz mit deinem Gerede, ich würde in Selbstmitleid ertrinken und ..."
„Das habe ich nie gesagt", wandte sie ein.
„So war es aber gemeint. Auf jeden Fall fing ich daraufhin an nachzudenken."
Cass sah ihn mißtrauisch an. „Tatsächlich?"
Er nickte. „Zuerst versuchte ich natürlich mir einzureden, daß du unrecht und überhaupt keine Ahnung hast, wie ich mich fühle, daß du nichts davon verstehst. Doch in letzter Zeit kam mir öfter in den Sinn, ob du vielleicht doch recht haben könntest. Erinnerst du dich daran, wie ich dir sagte, du dürftest Veronica gegenüber ja wohl eine Meinung äußern?"
„Ja - wenn sie vernünftig ist."
„Ich kam zu dem Schluß, daß es genauso gewesen ist: Du hast mir die Meinung gesagt, sehr vernünftig sogar, wie ich mit meiner Behinderung umgehe."
Cass sah ihn an. „Und was ist die zweite Sache, die passiert ist?" fragte sie.
Er runzelte nachdenklich die Stirn. „Heute nachmittag bin ich gelaufen. Zum erstenmal seit meinem Unfall habe ich mein Bein und meine Behinderung total vergessen - und ich lief !"
„Das geschah aus lauter Verzweiflung und nur mit übermächtiger Willenskraft", entgegnete sie.
„Ja, das stimmt, aber ich habe das geschafft und werde noch eine Menge mehr schaffen. Ich bin wieder in der Lage, ohne Hilfe auf zwei Beinen zu stehen, auch wenn ich mich dabei noch etwas wackelig fühle", meinte er selbstironisch. „Heute abend habe ich mich ausgeruht und intensiv über mich nachgedacht. Ich akzeptierte endlich die Tatsache, daß ich nie wieder so beweglich sein werde, wie vor meinem Unfall."
Er schwieg eine Weile und sah ihr dann voll ins Gesicht. „Ich erkannte, daß ich, wie du mir sagtest, in gewisser Weise immer ein Behinderter bleiben werde. Aber das hält mich nicht davon ab, ein Vater für Jack zu sein. Und ich will ihm ein Vater sein. Ich will ihn aufwachsen sehen. Ist das okay?"
Vor Freude sprang Cass von ihrem Sessel auf und setzte sich zu Gifford aufs Sofa. „Ja, Giff, o ja!"
„Ich danke dir", sagte er mit fester Stimme. „Als ich so voller schwerer Gedanken über die Zukunft war, konnte ich das nicht tun. Aber
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