Julia Extra Band 159
erinnerte, was sie ihm damals über ihre Familie erzählt hatte.
„Nein, das stand ganz außer Frage."
„War Señora Rubio damals schon deine Freundin?"
„Wir haben uns angefreundet, als ich hier war, und als ich dann wieder nach England gegangen bin, haben wir uns regelmäßig geschrieben." Offenbar vermutete er schon, daß sie damals eine schwierige Zeit durchgemacht hatte, und er hätte es wohl gern gehabt, wenn sie das Gegenteil behauptet hätte. Und genau das würde sie tun, da es ihr Stolz niemals zulassen würde, ihm die Wahrheit zu verraten. Denn in Wirklichkeit war sie damals außerordentlich deprimiert gewesen. Als Rosita, der sie Briefe voller vorgetäuschter Heiterkeit geschickt hatte, nach London gekommen war, war ihre Lage beinah hoffnungslos ...
„Rosita ist einige Monate nachdem ich zurückgereist war, nach London gekommen, da es dort eine Ausstellung des Werkes ihres Ehemannes gab." Und das war für sie ein willkommener Vorwand gewesen, um zu schauen, wie es ihrer jungen Freundin ging.
„Eine fürchterliche Geschichte", stimmte Jaime zu und schüttelte den Kopf. „Spanien hat einen seiner besten Maler verloren, aber die arme Señora Rubio trauerte um Ehemann und einziges Kind ... Ihr ganzes Leben muß damals zusammen gebrochen sein."
„Rosita hat mir einmal erzählt, daß sie sich mir deswegen so nah fühlte. Wir beide haben in einem schrecklichen, Augenblick verloren, was uns das Wichtigste im Leben war."
Sie schloß die Augen, da sie wieder daran denken mußte, wie Rosita sie vor den Unbilden des Lebens beschützt hatte. Immer wieder war sie erstaunt gewesen, warum die andere Frau sich so aufopferungsvoll um sie gekümmert hatte, und eines Tages hatte sie sie nach ihren Gründen gefragt.
„Hätte mich Manolita etwa gefragt, warum ich mich um sie kümmere?" hatte Rosita freundlich zurückgegeben, und Beth hatte verstanden, daß sich jede weitere Frage erübrigte.
Später, als Jacey geboren wurde, hatte sie ihr das größte Geschenk gemacht, das man einer Frau geben kann. „Darf ich dir deinen Enkel. vorstellen, Rosita", hatte sie geflüstert und ihr den kleinen Jungen in die Arme gelegt.
Freudentränen waren Rosita über die Wangen gelaufen, und. die Worte, mit denen sie Jacey in ihren Armen begrüßte, zeigten, daß sie ihn schon voller Liebe ins Herz geschlossen hatte. „Yaya, so nennt man auf Mallorca seine Großmutter, und so sollst auch du mich nennen." Wie Beth die beiden so beobachtete, wußte sie, daß der Junge bei seiner neuen Großmutter immer in guten Händen sein würde.
„Ich sollte vielleicht ..." Jaime brach ab, zog ein Handy aus der Tasche und machte einige Schritte zur Seite. „Ich mache mir keine Sorgen um Jacey", sagte er und tippte eine Nummer. „Aber vielleicht ist es besser, wenn ich einmal höre, ob man mich braucht."
Beth stand schnell auf. Zuerst hatte sie Angst, doch dann erkannte sie, daß es in der Tat nichts mit ihrem Sohn zu tun hatte.
„Es hat einen Unfall in der Stadt gegeben", sagte er und steckte das Handy wieder ein. „Ich weiß nicht genau, was geschehen ist, aber sie brauchen sofort einen Arzt. Beth, ich bin der einzige hier, der zur Zeit frei ist ..."
„Das versteht sich doch von selbst", erklärte sie sofort. „Jacey ist in guten Händen, und da draußen gibt es jemanden, der dich dringend braucht."
„Es tut mir leid, daß ich dich immer wieder allein lassen muß!" rief er heiser aus, und sein Gesicht nahm einen merk würdigen Ausdruck an. „Ich kann dir nicht einmal sagen, wann ich zurück sein werde."
Beth hatte einen Augenblick lang den Eindruck, daß er noch etwas anderes sagen wollte, doch statt dessen ergriff er ihre Hand und führte sie zum Mund, um einen raschen Kuß darauf zu drücken. Dann verließ er Beth schnellen Schrittes.
Sie wußte gar nicht mehr, was sie noch denken sollte, als sie zu Jaceys Zimmer zurückging und sich auf den Stuhl neben das Bett fallen ließ. Abgespannt lehnte sie sich vor und legte den Kopf auf die Kissen. Sie hatte die Furcht, die sie in den letzten Stunden empfunden hatte, falsch ausgelegt. Das wurde ihr auf einmal klar. In Wirklichkeit war ihr die ganze Zeit über deutlich gewesen, daß Jacey die Operation gut überstehen würde. Nein, was ich im Innersten fühle, hat nichts mit meinem Sohn zu tun. Es geht um seinen Vater, mußte sie sich eingestehen. Ihre Gefühle Jaime gegenüber waren außerordentlich zwiespältig. Die Liebe, die sie für ihn empfunden hatte, als sie ein
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