Julia Extra Band 348
hinuntergezogen hatte.
Beim Anblick der unzähligen Sterne am nachtblauen Himmel gefror ihr das Blut in den Adern. Etwas lief schief. Es hätte noch nicht dunkel sein dürfen. Aliz war nur wenige Stunden von London entfernt, und sie waren früh genug losgeflogen, um vor Anbruch der Dunkelheit einzutreffen.
Sie löste den Sicherheitsgurt. Bevor sie aufspringen konnte, stand Raj schon vor ihr, die Hände in den Hosentaschen. Die oberen Knöpfe seines dunkelblauen Polohemds waren geöffnet und ließen den Blick auf seine braune Haut frei. Er wirkte so lässig und sexy, als wäre er am Strand und nicht an Bord eines Flugzeugs.
„Wo bringst du mich hin?“, fragte sie scharf.
Bevor er antworten konnte, wusste sie, dass er sie belogen hatte. Der Mann, dem sie ihr Herz anvertraut hatte, hatte ein falsches Spiel mit ihr getrieben. Oder handelte es sich doch nur um ein Versehen? Vielleicht mussten sie aus Sicherheitsgründen eine andere Route fliegen.
Er würde es nicht wagen, ihr seinen Willen aufzuzwingen.
„Wir fliegen nach Goa, zu mir nach Hause“, erklärte er.
Veronica erschrak. „Goa? Ist das nicht ein bisschen weit weg von Aliz?“, fragte sie bitter. Sie schäumte vor Wut und kam sich wie ein Vulkan vor, der kurz vor dem Ausbruch stand. Aber hatte sie eine Wahl? Sie war ihm ausgeliefert, er kontrollierte sie, nahm ihr die Unabhängigkeit, sperrte sie ein. Abscheu mischte sich in ihre Wut. Doch auf keinen Fall wollte sie sich ihre Gefühle anmerken lassen.
„Es tut mir leid“, sagte er, „aber ich musste es tun. Du kannst im Moment nicht nach Aliz zurück, dort bist du nicht sicher. Der Polizeichef hat die Macht an sich gerissen. Sobald wir in Aliz landen würden, könnte er dich, vielleicht sogar uns alle, hinrichten lassen.“
Eine Eiseskälte stieg in ihr auf. Raj setzte sich auf den Sitz neben Veronica und legte den Arm um sie, bevor sie sich wehren konnte.
Er war so warm, so stark. Zu gern hätte sie in seinen Armen die Kälte vergessen. Aber wie hätte sie sich von ihm trösten lassen können, wenn er sie doch betrogen hatte? Sie hatte ihm vertraut, hatte sich ihm hingegeben. Und er hatte sie belogen, ohne mit der Wimper zu zucken. Mit aller Macht versuchte sie, ihn wegzustoßen. „Lass mich los!“
„Es tut mir leid“, sagte er, ohne den Griff zu lockern. „Aber ich hatte keine andere Wahl. Ich werde nicht zulassen, dass dir etwas geschieht.“
Ein wütendes Stöhnen entfuhr ihrer Kehle. Dann stieß sie ihn mit Leibeskräften von sich. Er ließ sie los. Sie rückte von ihm ab und zog die Knie schützend an den Körper.
Seine Miene wirkte besorgt, aber unnachgiebig. Auf einer seiner Wangen zeichnete sich ein langer roter Kratzer ab, den ihre Nägel eben verursacht hatten. Das geschah ihm recht, hoffentlich tat die Schramme weh.
„Woher nimmst du dir das Recht, für mich Entscheidungen zu fällen?“, fauchte sie ihn an.
„Lass deine Wut ruhig an mir aus“, erwiderte er leise. Dann wies er mit dem Kopf in Richtung ihrer Leute. „Aber würdest du ihr Leben ebenfalls aufs Spiel setzen? Du weißt nicht, wozu der Polizeichef fähig ist und was er mit dir und deinen Leuten vorhat. Hier geht es nicht nur um dein Leben, sondern auch um die Sicherheit deiner Mitarbeiter.“
Es passte ihr nicht, dass er recht hatte und sie sich schuldig fühlte. Schließlich war er derjenige gewesen, der sie betrogen hatte.
„Ihnen wird nichts geschehen“, sagte sie. „Ich bin die Einzige, die sich vor dem Polizeichef fürchten muss.“
„Woher nimmst du diese Gewissheit?“, entgegnete er und stand auf.
Veronica schloss die Augen. Nie wieder würde sie diesem Mann vertrauen können.
„Verschwinde“, sagte sie. „Unsere Unterhaltung ist beendet.“
Eigentlich hatte sie nicht damit gerechnet, dass er wirklich gehen würde, aber als sie nach einer Weile die Augen einen Spalt öffnete, war er weg.
Die Einsamkeit in ihr war stärker als je zuvor.
9. KAPITEL
In den frühen Morgenstunden erreichten sie den Flughafen von Goa. Als sie über einer Bucht in den Landeanflug gingen, glitzerte das türkisfarbene Meer unter ihnen wie funkelnde Diamanten. Nach dem Schnee in England war der strahlend blaue Himmel ein wahrer Augenschmaus.
Trotzdem fühlte Veronica sich alles andere als glücklich. Wegen der Hitze, die sie in Indien erwartete, hatte sie ein orangerotes Seidenkleid angezogen. Dazu trug sie hautfarbene Peeptoes.
Die Kabinentür wurde geöffnet, und Veronica trat auf die Gangway. Sofort
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