Julia Extra Band 348
umschmeichelte die schwül-warme Luft ihre Sinne und vertrieb die Kälte aus ihren Knochen. Eine Wohltat nach dem eisigen Londoner Winter.
Zu ihrer Überraschung stellte sie fest, dass keine Presseleute auf sie warteten. Raj war es gelungen, das Ziel ihrer Reise geheim zu halten.
Martine trat hinter ihr aus der Maschine, dicht gefolgt von ihrem übrigen Personal. Trotz der misslichen Lage bewahrte Veronica eine würdevolle Haltung. Das war sie ihrer Gefolgschaft schuldig.
Nachdem Veronica gestern Nacht die Fassung wiedererlangt hatte, hatte sie mit ihren Mitarbeitern gesprochen. Zu ihrer Überraschung hatte niemand Einwände dagegen gehabt, nach Goa zu fliegen. Nicht einmal ihre Sicherheitsleute hatten protestiert!
Raj war mittlerweile vorausgegangen, stand neben einem Geländewagen und sprach mit dem Fahrer. Er war in eine kakifarbene Hose und ein enges schwarzes T-Shirt geschlüpft, das jeden einzelnen Muskel betonte.
Bei dem Anblick reagierte ihr Körper sofort. Wie sie sich selbst dafür hasste! Angestrengt versuchte sie, ihre Gefühle zu unterdrücken. Doch ihre Gedanken kehrten zu den Erlebnissen der vorletzten Nacht zurück. Das sanfte Gleiten seines Körpers in ihr. Die wachsende Lust. Die Wonne des Orgasmus.
Nein!
Wenn sie daran dachte, dass er sie nach der Liebesnacht betrogen hatte, traf sie der Schmerz noch härter. Sie hatte ihm vertraut, und er hatte ihr Vertrauen mit Füßen getreten.
Sie spürte, dass er sie ansah, obwohl er eine verspiegelte Sonnenbrille trug. Sofort kribbelte ihre Haut, ihre Brustwarzen richteten sich auf. Dieser Mistkerl!
Raj kam auf sie zu. „Wie fühlst du dich heute Morgen?“, fragte er.
Als sie den samtweichen Klang seiner Stimme hörte, musste sie sich zusammenreißen und zwang sich, ihm in die Augen zu sehen. „Ich bin wütend.“
„Aber am Leben“, fügte er hinzu.
„Du sagst das so, als ob mir in Aliz ganz gewiss etwas passiert wäre. Dabei musst du zugeben, dass es durchaus anders hätte ausgehen können.“
Er zuckte mit den Schultern. „In meinem Beruf gehe ich immer vom Schlimmsten aus – und setze alles daran, dass es nicht eintrifft.“
„Bevor du mich entführt hast, bestand noch Hoffnung für Aliz. Jetzt wird niemand kommen, das Land zu retten.“
„Das sind auch nur Vermutungen. Ich glaube nicht, dass du die Schuld bei mir suchen solltest. Monsieur Brun und der Polizeichef sind deine wahren Feinde.“
Der Name des Expräsidenten versetzte ihr einen Stich. Er hatte sie nie leiden können. Während des Wahlkampfs hatte er sie in den Medien beschimpft und gemeine Geschichten über sie verbreitet.
„Gibt es Neuigkeiten?“
„Noch nicht. Die Polizei hat eine Nachrichtensperre verhängt“, erklärte er.
„Ich sollte wirklich vor Ort sein.“
„Das solltest du auf gar keinen Fall.“
Er hielt ihr die Tür eines der Geländewagen auf, damit sie einsteigen konnte. Martine und die anderen verteilten sich auf die übrigen Fahrzeuge. Bald fuhren sie durch eine üppige Landschaft voller Palmen, Reisfelder und exotischer Blumen. Im Hintergrund erhob sich ein beeindruckendes Bergmassiv.
Der Anblick war so fantastisch und exotisch wie die Frauen in den bunten Saris, an denen sie vorbeifuhren. Veronica bestaunte das Land und seine Bewohner mit der Neugier eines Kindes. In den letzten zehn Jahren war sie zwar weit gereist, Indien hatte sie bisher jedoch nicht besucht.
Sie kamen an der Ruine einer alten Festung vorbei, und Veronica drehte den Kopf, um einen besseren Blick zu erhaschen. Das alte Bauwerk mit seinem europäischen Einschlag wollte nicht recht in die Umgebung passen.
„Im 16. Jahrhundert ließen sich die Portugiesen in Goa nieder“, erklärte Raj, als hätte er ihre Gedanken gelesen. „Es ist erst gut fünfzig Jahre her, dass sie wieder abgezogen sind. Ihre Bauwerke findet man noch in vielen Städten und Dörfern. Auch das Essen hat einen stark portugiesischen Einschlag.“
Erstaunt sah sie ihn an. „Du bist ursprünglich von hier?“
Sein Gesichtsausdruck wurde traurig. „Mein Vater stammte aus Goa. Allerdings kannte ich ihn nicht, da meine Eltern sich scheiden ließen, als ich zwei Jahre alt war. Doch ich habe in der Nähe ein Haus von ihm geerbt.“
„Hast du hier noch Familie?“
„Falls ja, kenne ich sie nicht. Mein Vater starb, als ich noch ein Kind war. Wie ich hörte, hatte er den Kontakt zu seiner Familie schon lange davor abgebrochen.“
„Und wo wohnt deine Mutter?“ Eigentlich hatte sie nicht mehr mit ihm
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