Julia Extra Band 348
reden wollen, doch sie war neugierig geworden.
„In einem Pflegeheim.“ Seine Stimme klang besorgt. „Sie ist geistig verwirrt und erkennt mich nicht mehr.“
„Oh, Raj, das muss schrecklich sein.“
„Sie ist selbst schuld. Schließlich hat sie jahrelang Drogen genommen“, sagte er beiläufig.
Doch sie ahnte, dass es ihm schwerfiel, darüber zu reden. Sein Blick schweifte in die Ferne, als wäre sie gar nicht da. Was hatte er mit seiner Mutter wohl alles durchmachen müssen?
An ihre eigene Mutter hatte sie nur wenige Erinnerungen. Nach ihrem Tod hatte ihr Vater nie wieder von ihr gesprochen. Um seine Tochter nicht auch noch zu verlieren, hatte er sie mit seiner Liebe fast erdrückt.
Den Rest des Weges legten Veronica und Raj schweigend zurück. Bald erreichten sie ein Anwesen auf einem Hügel, von dem aus man einen herrlichen Blick auf das Arabische Meer hatte. Auf dem Grundstück standen hohe Palmen, ein gepflegter Rasen führte hinunter zu einem traumhaften Sandstrand, dahinter erstreckte sich das glitzernde Meer.
Eine Frau in einem golddurchwirkten türkisfarbenen Sari kam aus dem Haus, gefolgt von mehreren Dienern, die das Gepäck ergriffen, um es anschließend hineinzutragen. Veronica betrachtete noch einmal lange das Meer. Als sie sich umdrehte, merkte sie, dass sie mit Raj allein war.
„Von der Terrasse hat man einen noch besseren Ausblick“, sagte er.
„Wo sind meine Mitarbeiter?“
„Meine Haushälterin bringt sie zu den Gästehäusern.“
„Ich möchte auch in ein Gästehaus“, sagte sie. Die Vorstellung, mit ihm allein unter einem Dach zu wohnen, behagte ihr gar nicht.
„Du bleibst im Haupthaus. Bei mir.“
„Eine andere Lösung wäre mir lieber.“ Sie schirmte die Augen mit der Hand ab, da sie die Sonne blendete.
„Du hast keine andere Wahl“, erwiderte er. „Es ist nur zu deinem Schutz.“
Plötzlich hatte sie den Eindruck, die Luft sei elektrisch aufgeladen. Lag das nur daran, dass er ihr so nah war und sie seinen Duft einatmete?
„Und wer beschützt mich vor dir?“, fragte sie leise.
Er schenkte ihr sein Raubtierlächeln. „Das liegt ganz an dir. Solange du mich nicht darum bittest, werde ich dich nicht anfassen.“
„Lieber lege ich mich zu einer Kobra in den Korb.“
„Wir sind in Indien. Dein Wunsch kann dir erfüllt werden“, entgegnete er lachend.
Sie folgte ihm ins Haus. Sofort erschien die Frau in dem leuchtenden Sari. Sie und Raj unterhielten sich in einer Sprache, die Veronica nicht verstand, dann verschwand die Frau so schnell und leichtfüßig wie ein exotischer Vogel.
„Ich zeige dir dein Zimmer“, sagte er und führte sie zu einer gewaltigen Holztür, die mit Schnitzereien von Elefanten, Tigern und Blumen verziert war.
Ohne die prachtvollen Schnitzereien eines Blickes zu würdigen, hielt Raj ihr die Tür auf. Sie betrat das Zimmer und stellte fest, dass ihr Gepäck bereits auf dem Bett lag. Eine Doppeltür, die auf die Terrasse führte, stand offen. Als würde sie magisch vom Meer angezogen, spazierte Veronica nach draußen. Nach den Strapazen der vergangenen Wochen übte dieser Ort eine ungemein beruhigende Wirkung auf sie aus.
Der Wind wehte ihr eine Haarsträhne ins Gesicht. Sie strich das Haar zurück und atmete tief ein. Vielleicht war sie nicht freiwillig hier, aber immerhin hatte er sie nicht in ein kleines fensterloses Zimmer gesperrt. Aber auch wenn sie sich frei bewegen konnte, gab sie sich keiner Illusion hin: Sobald sie zum Flughafen fahren würde, um nach Aliz zurückzukehren, würde er sich ihr in den Weg stellen. Nein, frei war sie hier nicht.
Instinktiv spürte sie, dass er hinter ihr stand. Eine Gänsehaut hatte sich auf ihren Armen ausgebreitet, als er näher gekommen war.
Wenn sie sich nur ein wenig zurücklehnte, würde sie ihn berühren. Bestimmt würde er ihr die Arme um die Taille legen und ihren Hals küssen, wenn sie den Kopf zur Seite neigte. Seine Lippen würden ihren Hals entlangwandern, bis zu ihrer Schulter. Schließlich würde er sie umdrehen und auf den Mund küssen.
Es fiel ihr schwer, dem Verlangen zu widerstehen. Sie schloss die Augen und ließ den Kopf sinken.
„Du hättest mich informieren sollen“, sagte sie vorwurfsvoll. „Mich gegen meinen Willen herzubringen war nicht richtig.“
Er seufzte. „Du hast mir keine andere Wahl gelassen. Du warst entschlossen, nach Aliz zurückzukehren, und wolltest nicht auf mich hören.“
Jetzt drehte sie sich um und trat einen Schritt zurück. Der Blick aus
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