Julia Extra Band 356 - Ebook
im Bett zu liegen und sich den Kopf über Dinge zu zerbrechen, die nicht mehr zu ändern waren. In der letzten Nacht hatte sie erneut geträumt, dass sie in Kiryls Armen lag und er sie liebte, wahrhaft liebte. Nein, es war besser aufzustehen und der Realität ins Auge zu blicken. Aber diese Realität war für ihren Gemütszustand alles andere als angenehm.
Der Sommer in St. Petersburg war die Zeit für Festivitäten aller Art. Es wurde nie richtig dunkel, und man nannte diese Nächte die „Weißen Nächte“. Es wurde eine Party nach der anderen gefeiert, besonders auf den kleinen Inseln im Delta der Newa. Es war eine Zeit der Freude darüber, dass die Menschen vom eisigen Winter erlöst waren, und es wurden entsprechend viele Hochzeiten gefeiert.
Egal, wohin sie ging, überall wurde Alena mit glücklich strahlenden Bräuten und frischgebackenen Ehemännern konfrontiert. Sie brachten sich für Fotografen in Pose, entweder vor den wunderschönen Häusern der Altstadt oder auf einer der vielen Brücken. Früher hatte Alena die Jahreszeit in dieser Stadt besonders geliebt, doch jetzt war es eine einzige Tortur für sie. Immer wenn sie eine lachende Braut sah, die ihren Bräutigam anstrahlte, zog sich ihr Herz zusammen, und sie musste daran denken, was sie erwartete. Nach zwei Tagen in St. Petersburg wäre sie am liebsten wieder abgereist.
Seit ihrer Ankunft in der Stadt hatte sie zu allem Überfluss auch noch an zahllosen Empfängen teilnehmen müssen, die der Hochzeit vorangingen. In drei Tagen würde es so weit sein. Gestern Abend waren Vasilii, Kiryl und sie gemeinsam ins Marinsky Theater gegangen und hatten dort am berühmten Festival „Die Sterne der Weißen Nächte“ teilgenommen. Es war einer der Höhepunkte des gesellschaftlichen Lebens der Stadt, und die Tickets waren äußerst begehrt.
Entsprechende Abendgarderobe war unerlässlich. Als ihr Bruder sie in ihrem prächtigen Abendkleid gesehen hatte, äußerte er Bedauern, dass er nicht daran gedacht hatte, den Schmuck ihrer Mutter mitzunehmen, der in einem Londoner Safe lag. Damit wäre ihre Erscheinung noch betörender gewesen.
Doch Alena hatte abgewunken. „Mutter hätte sich nie an der Qualität ihres Schmucks messen lassen“, hatte sie verkündet. „Für mich gilt nichts anderes.“ Egal wie kostbar die Diamanten waren, nichts konnte sie für die seelischen Schmerzen entschädigen, die sie durchlebte.
Und heute Abend waren sie schon wieder auf eine Party eingeladen, diesmal außerhalb der Stadt. Sie fand auf dem luxuriösen Anwesen eines der reichsten Männer Russlands statt. Er wollte seine Hochzeit mit einer amerikanischen Schauspielerin nachfeiern, die bereits im Frühjahr stattgefunden hatte. Zu den Feierlichkeiten gehörte der Auftritt einer prominenten Popgruppe, und am Ende würde es ein riesiges Feuerwerk geben. Man munkelte, dass die Kosten für die Party in die Millionen gingen.
Alena hatte nicht die geringste Lust auf Partys. Außerdem war es ihr zuwider, dass so viel Geld dafür ausgegeben wurde. Mit nur einem Bruchteil dieser Summe hätte man schon so viel für andere tun können! Um ihre Haltung klarzumachen, hatte sie sich nicht einmal ein neues Kleid gekauft und stattdessen ihre gesamte Garderobe aus London mitgebracht, die eher dezent gehalten war. Bestimmt würde sie gegen die reichsten Frauen des Landes wie ein Mauerblümchen wirken. Aber das war ihr egal, selbst wenn Kiryl sie so sehen würde.
Beim Gedanken an ihn pochte ihr Herz plötzlich schneller. Warum empfand sie immer noch so viel für ihn, obwohl sie genau wusste, dass diese Liebe sie nur verletzen würde? Verzweifelt legte sie den Kopf in die Hände.
Als sie sich wieder gefangen hatte, ging sie in den Salon des Apartments. Zu ihrer Überraschung fand sie dort Vasilii vor. Er saß auf dem Sofa und studierte die Londoner Tageszeitungen, die er sich täglich schicken ließ. Seit ihrer Ankunft hatte er so viele geschäftliche Termine gehabt, dass sie ihn kaum zu Gesicht bekommen hatte.
„Ah, Alena“, sagte er erfreut, als er sie sah, und legte die Zeitungen zur Seite. Dann stand er auf und gab ihr einen Kuss auf die Wange.
Bevor Kiryl in ihr Leben getreten war, hatten sie eine tolle geschwisterliche Beziehung gehabt. Doch jetzt fühlte sie sich von Vasilii verraten und glaubte, den Bruder, der ihr stets so lieb gewesen war, verloren zu haben.
Vasilii war ein Mensch, der seine Gefühle normalerweise für sich behielt. Umso erstaunter war Alena, als er sie weiterhin
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