Julia Extra Band 358
den Schreibtisch und lächelte, während er sich in seitenlange Statistiken vertiefte.
Alyssa sah dem Picknick mit gemischten Gefühlen entgegen. Wahrscheinlich würden eine Eskorte und das höfische Protokoll aus dem harmlosen Freizeitvergnügen einen Staatsakt machen.
Sie war daher überrascht, als Lysander ohne Begleitung erschien, um sie und Ra’id abzuholen. „Mein Neffe und ich möchten heute allein einen Ausflug machen“, erklärte er dem anwesenden Personal. „Um zu vermeiden, dass ich Ra’id überanstrenge, nehme ich jedoch die Nanny mit.“
Die Diener schienen überzeugt, denn sie lächelten und nickten. Alyssa dagegen gab Lysanders List zu denken. Sie senkte den Kopf und würdigte ihn auf dem Weg zu den Garagen keines Blicks.
Während ein funkelnagelneuer Geländewagen vom Koch persönlich mit ausgesuchten Köstlichkeiten für das Picknick beladen wurde, und Ra’id begeistert zuschaute, nutzte sie die Gelegenheit und nahm Lysander beiseite.
„Lysander, sollte ich letzte Nacht den Eindruck erweckt haben …“
Er lächelte entwaffnend, und Alyssa hasste sich dafür, wie ihr Körper darauf reagierte. Ihr Puls raste, und ihr Mund war plötzlich so trocken, dass sie kaum sprechen konnte.
„Ich habe einen Fehler gemacht, doch das heißt nicht, du könntest … du könntest …“ Hilflos warf sie einen Blick auf Ra’id, der aufgeregt um das Auto tanzte und in die Hände klatschte.
„Ich verstehe.“ Er nickte betont feierlich. „Du bittest mich, nicht da weiter zu machen, wo wir gestern aufgehört haben. Ich verspreche es dir – für diesen Tag. Heute bist du für mich ausschließlich die Nanny meines Neffen, die ich mit gebührendem Respekt behandeln werde.“ Er legte die Hand aufs Herz und verbeugte sich.
Machte er sich über sie lustig? Alyssa beobachtete ihn misstrauisch. Völlig unbefangen schnallte er Ra’id in seinem Kindersitz auf der Rückbank fest und öffnete ihr anschließend die Beifahrertür. Er half ihr beim Einsteigen in den hohen Jeep so rücksichtsvoll, als wäre sie seine ältliche Tante. Alyssas Erleichterung über sein taktvolles Benehmen bekam plötzlich einen bitteren Beigeschmack.
Nachdem sie den Palast hinter sich gelassen hatten, folgten sie einer gut sichtbaren Piste. Alyssas Nervosität legte sich, denn Lysander beschäftigte sich ausschließlich mit Ra’id.
„Ich liebe Picknicks! Ich liebe Picknicks!“, sang der Kleine und fuchtelte wie wild mit den Armen in der Luft herum. Seine Freude war ansteckend, und auch Alyssa begann, die Fahrt zu genießen. Sie empfand es als ausgesprochenen Luxus, vor der stechenden Sonne geschützt ganz bequem in einem klimatisierten Auto zu sitzen und von dort aus die karge, vor Hitze flirrende Wüstenlandschaft zu betrachten.
Der Ausflug war wohl doch eine gute Idee gewesen. Die karge Szenerie war einfach einmalig, und sie hatten genug Proviant für eine ganze Armee mit dabei. Außerdem bemühte sich Lysander nach Kräften, sich auf Ra’id einzulassen und ihm näherzukommen.
„Bei einer solchen Umgebung sind Picknicks wohl an der Tagesordnung“, bemerkte sie.
Lysander schüttelte den Kopf. „Soviel ich weiß, hat Ra’id noch nie einen Blick hinter die Mauern des Palastgeländes getan – mit Ausnahme der Flüge nach Combe House natürlich.“
„Hast du deshalb diesen Vorschlag gemacht?“
Er schüttelte den Kopf. „Nein, das entsprang reinem Egoismus. Ich habe es mir gewünscht, seit ich ein kleiner Junge war, kaum älter als Ra’id.“ Er blickte starr geradeaus durch die Windschutzscheibe.
Alyssa glaubte, sich verhört zu haben. „Das kann doch nicht sein! Dies ist dein erstes Picknick?“
„Ja, selbst wenn du es nicht glaubst. Die Gelegenheit dazu hat sich für mich einfach nie ergeben. Ich habe als Kind einen einzigen Ausflug gemacht, an den ich mich auch nur noch verschwommen erinnern kann. Meine Mutter hatte Akil und mich in England in einen Park mitgenommen. Einzelheiten weiß ich nicht mehr, selbst das Gesicht meiner Mutter ist mir nicht mehr vor Augen. Nur einen Satz, den sie sagte, werde ich nie vergessen: ‚Wie schade, dass wir so etwas noch nie unternommen haben. Das soll sich in Zukunft ändern.‘ Es änderte sich jedoch nichts, es blieb bei dem einen Erlebnis.“
„Das ist so traurig“, meinte Alyssa leise.
„Traurig?“ Er blickte sie kurz von der Seite an. „Meine Mutter war glücklich, als sie diese Worte sprach. Meine einzige Erinnerung an meine Mutter ist die an eine glückliche
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