Julia Extra Band 359
schrecklich hilflos. „Meinst du, man beobachtet uns?“, wisperte sie.
„Das hängt davon ab, wie clever unsere Entführer sind und was sie vorher aufgeschnappt haben.“
„Was sollten sie aufgeschnappt haben?“, meinte sie irritiert.
Er sah sie nur stumm an, und sie begriff. In ihrer Rage hatte sie die Scheidung verlangt, und das in einer Situation, wo gut eine Handvoll Dienstboten hätten mithören können. Damit nicht genug, sie hatte ihrer Verachtung für Recht und Tradition Luft gemacht. Da wäre sicher jeder Fundamentalist schockiert.
Beschämt schloss sie die Augen. „Es tut mir so leid, Harun“, sagte sie leise. „Das alles ist allein meine Schuld.“
„Jetzt ist nicht die Zeit für Schuldzuweisungen, das bringt uns nicht weiter“, entgegnete er. „Wir wissen doch gar nicht, was wirklich vorgeht. Wir müssen jetzt zusammenhalten und scharf nachdenken, wie wir uns aus dieser Situation befreien können.“
Ihr Kopf lag an seiner Schulter, bevor ihr überhaupt bewusst wurde, dass sie sich bewegt hatte. Seufzend schmiegte sie sich an ihn und sog genüsslich seinen männlichen Duft ein. „Danke, Harun.“
„Wofür?“
Sie hob lächelnd den Blick. „Ein weniger selbstbewusster Mann würde mir jetzt einen ausführlichen Vortrag über mein unmögliches Benehmen halten. Ein weniger intelligenter Mann würde mir die Schuld für unsere Lage in die Schuhe schieben. Ein Mann, der sich in seiner Männlichkeit bedroht fühlt, würde mich wahrscheinlich sogar schlagen.“
Ein Lächeln – nein, ein belustigtes Grinsen zog über sein Gesicht. „Daran habe ich nicht einmal gedacht. Wie kommst du darauf, dass ich mir eine schwache Frau an meiner Seite wünsche?“
Nie zuvor hatte sie ihn so gelöst lächeln sehen. Vielleicht spielte er ihr etwas vor, um ihr in dieser bedrohlichen Situation die Angst zu nehmen. Aber egal, ob echt oder gespielt: Es tat ihr einfach unglaublich gut.
Waren ihm seine Männer deshalb in blindem Vertrauen in die Schlacht gefolgt? Hatte er ihnen ebenfalls das Gefühl gegeben, alles schaffen – überleben! – zu können?
In ihrer Situation blieb ihnen nichts anderes übrig, als sich vollkommen aufeinander zu verlassen – wozu sie mehr als bereit war. Plötzlich erschien ihr die Vorstellung, diesen sanften, humorvollen Mann an ihrer Seite zu verlieren, unerträglich. „Tja, hättest du mir früher verraten, welche Art Frau du dir wünschst …“ Sie lächelte wehmütig. „Im Moment bin ich, was das betrifft, leider ziemlich ratlos.“
Er lachte leise in sich hinein. „Weißt du, du bist nicht die Einzige, die behauptet, ich sei viel zu zugeknöpft.“
Fasziniert betrachtete sie seinen Mund. „In all den Jahren habe ich dich nie wirklich lachen hören.“
Statt der Abfuhr, die sie erwartete, wurde sein Lächeln breiter. „Du meinst, es war erst eine Entführung nötig, damit ich mein wahres Gesicht zeige? Wenn du Spaß daran hast, kannst du ja regelmäßig alle paar Monate eine kleine Entführung arrangieren.“
Amber wollte schon laut loslachen, als ihr bewusst wurde, was sein verändertes Wesen mit ihr anstellte. Diese heftige, fast unerträgliche Sehnsucht, das warme Kribbeln im Bauch … „Wie kannst du im normalen Alltag immer so kalt und abweisend sein und ausgerechnet jetzt charmant und lustig?“
„Ich versuche einfach, mich davon abzulenken, dass mein Rücken furchtbar juckt und ich mich nicht kratzen kann“, gab er augenzwinkernd zurück und hob demonstrativ seine gefesselten Hände.
Wieder musste sie lachen. Nach all den Jahren ernster Strenge schien es plötzlich, als könne er nicht eine Sekunde aufhören zu scherzen und albern zu sein. Natürlich wusste sie, dass er das tat, um sie abzulenken – und dafür war sie ihm unendlich dankbar.
„Ich kann dich kratzen“, bot sie an. „Roll dich auf die Seite.“
Das tat er. Bewundernd ließ Amber den Blick über seine breiten Schultern und den muskulösen Rücken gleiten. Seine Haut war seidig und von einem wunderbar warmen Goldbraun. „Wo juckt es denn?“, fragte sie und hörte dabei selbst, wie heiser ihre Stimme plötzlich klang.
Zum ersten Mal würde sie seinen Körper berühren – und das, um ihn zu kratzen. Wie absurd!
„Direkt unter meinem rechten Schulterblatt.“
Als sie die Stelle mit ihren beiden Händen bearbeitete, seufzte er wohlig. „Ich kann mich nicht erinnern, wann sich etwas je so gut angefühlt hat“, meinte er leise stöhnend. „Du hast magische Hände, Amber.
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