Julia Extra Band 361
noch nie hatte ihm dabei ein Kloß in der Kehle gesessen. Und er schämte sich dafür, dass seine Heirat mit Sienna eine so sterile Angelegenheit gewesen war. In ihren Augen hatte nicht Glück geglitzert, sondern Hass, und ihm war nicht vor bewegter Rührung die Stimme gebrochen, so wie Emilio Andreoni.
Ihre Trauung hatte Inhalt und Sinn des heiligen Gelübdes verspottet.
Andreas Blick wanderte zu Sienna zurück. Über die Köpfe der Hochzeitsgäste sah sie ihn an und lächelte, ohne dass das Lächeln ihre Augen erreichte. Dann wandte sie wieder den Kopf zum Brautpaar, das sich jetzt den ersten Kuss als Mann und Frau gab.
Ob sie wohl an ihren ersten Kuss dachte? Sie hatten sich nie vorher geküsst, erst nach dem Ablegen des völlig bedeutungsleeren Versprechens. Andreas erinnerte sich an den elektrischen Schock, der ihn dabei durchfahren hatte – und bei all den weiteren Küssen, die sie seither getauscht hatten. Prompt reagierte sein Körper, das Blut rauschte schneller durch seine Adern. Er hätte erwartet, dass die Lust sich inzwischen abgekühlt hätte, zumindest ein bisschen. Stattdessen schien es immer schlimmer zu werden.
Würden die verbliebenen fünf Monate des Ehearrangements ausreichen, um die Lust zu befriedigen?
Als Brautjungfer saß Sienna während des Empfangs an Giseles Seite am Brauttisch, was Andreas Verlangen umso mehr beflügelte. Er konnte seine Ungeduld kaum zügeln. Wann war der formelle Teil endlich vorüber?!
Als das Brautpaar den Tanz eröffnete, gesellten sich erst die Trauzeugen und nach und nach die Gäste hinzu. Sienna tanzte mit dem Trauzeugen, so wie es üblich war. Andreas ballte die Fäuste unter dem Tisch, als der Mann den Arm um ihre Taille schlang und sie an sich zog.
Eifersucht war eine völlig neue Erfahrung für Andreas, ein solches Gefühl kannte er nicht. Jetzt brodelte es regelrecht in ihm. Er kniff die Augen zusammen. Flirtete Sienna etwa mit dem Typen? Auf jeden Fall lächelte sie ihn an. Und ihre linke Hand lag auf seiner Schulter, die rechte hatte sie in seine geschoben. Sie bewegte sich lasziv zum Rhythmus des langsamen Walzers, stieß manchmal mit ihrem Körper gegen den Kerl, wenn dessen Füße nicht richtig mitspielten …
Entschlossen marschierte Andreas auf die Tanzfläche und legte dem Trauzeugen die Hand auf die Schulter. „Ich würde jetzt gern mit meiner Frau tanzen.“
„Sicher.“ Mit einem freundlichen Lächeln ließ der Mann Sienna los und trat zurück. „Sie tanzt ganz hervorragend. Ich bin sonst immer ein Trampeltier, aber mit ihr bin ich mir vorgekommen wie ein Profi-Tänzer.“
Dass er mit den Zähnen mahlte, kaschierte Andreas mit einem schiefen Lächeln. „Ja, sie ist Expertin für heikle Manöver.“
Sobald der Trauzeuge sich zurückgezogen hatte, sah Sienna keinen Sinn mehr darin, das gekünstelte Lächeln aufrechtzuerhalten. „Was soll das?“, zischelte sie. „Du hast den Brautwalzer unterbrochen!“
Andreas drehte sich mit ihr, sodass keiner der Gäste ihre verärgerte Miene sah. „Ich musste eingreifen, bevor du dich vor aller Augen zum Narren machst. Du hast dich diesem Typen ja praktisch an den Hals geworfen!“
„Das habe ich nicht!“
Mit einem Ruck zog er sie an sich. „Der einzige Mann, dem du so nahe kommst, bin ich, verstanden? Schließlich sind wir verheiratet.“
„Nur noch fünf Monate. Und danach kann ich jedem so nahe kommen, wie ich will, und du kannst nichts dagegen unternehmen.“
Schwungvoll drehte er sich mit ihr im Kreis. „Das würde mir auch im Traum nicht einfallen. Aber bis dahin bist du meine Frau, und von der erwarte ich, dass sie sich entsprechend benimmt.“
„Ich bin nicht wirklich deine Frau.“ Ihre Augen sprühten Funken. „Das Ganze ist doch nur eine alberne Charade. Es wundert mich, dass noch keine Gerüchte kursieren, aber … ich glaube, Gisele vermutet etwas.“
„Wie kommst du darauf?“
„Sie hat mich gefragt, wieso wir so urplötzlich geheiratet haben und warum ich keine große Hochzeit wollte.“ Sie kaute an ihrer Lippe, die Erinnerung an das Gespräch wühlte sie noch immer auf.
Andreas tanzte mit ihr in eine ruhige Ecke hinter einer großen Säule. Er stand so nah vor ihr, dass sich ihre Schenkel berührten. „Bist du enttäuscht, dass wir keine richtige Hochzeit hatten?“
„Machst du Witze? Es war schlimm genug, vor dem Standesbeamten zu lügen, und dann auch noch vor einem Priester …?! Bei Gisele und Emilio ist es etwas anderes. Sie lieben sich und haben eine
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