Julia Extra Band 362
freundlich gelte ich für gewöhnlich nicht unbedingt.“
Das machte Sinn. Männer, die es bis ganz nach oben geschafft hatten, waren nur selten als große Wohltäter bekannt.
„Wenn ich Ihre Hilfe benötigen würde, würde ich sie dankbar annehmen. Aber es ist wirklich nicht nötig.“
„Gut.“ Seine Tonlage wurde nun knapp und geschäftsmäßig. „Aber mein Angebot bleibt bestehen.“
Tracey erwartete sie an der Tür. Ihr Strahlen verwandelte sich in Verwirrung, als sie erkannte, dass Marisa nicht in ihrem eigenen Wagen und nicht allein gekommen war.
Ungerührt lächelte Rafe Tracey zu und bot ihr an, sie nach Hause zu fahren.
Marisa schaute dem Auto nach, als die beiden davonfuhren, und wartete noch einige Sekunden lang. In diesem Moment kam ein weiterer Wagen um die Ecke, verlangsamte sein Tempo und fuhr dann mit hoher Geschwindigkeit weiter. Marisa fröstelte und verschloss das Haus.
Klar, dass Rafe Peveril gewohnt war, seinen Kopf durchzusetzen. Da er als Sohn einer einflussreichen Familie aufgewachsen war, spürte er wahrscheinlich so etwas wie die Verantwortung eines Feudalherrn gegenüber der einfachen Bevölkerung.
Aber ich brauche all das nicht, dachte sie. Ich bin durchaus in der Lage, selbst auf mich und meinen Sohn aufzupassen.
Sie öffnete die Tür zum Kinderzimmer. Im blassen Licht der Flurlampe sah Keir wie ein Engel aus, mit entspannter Miene in die Kissen gekuschelt.
Warum war sie so unruhig? Rafe konnte sie unmöglich wiedererkannt haben.
Und selbst wenn … was konnte schon passieren?
Sie musste diese Unruhe, diese ständige Nervosität überwinden. Und sie wusste, dass sie stark genug dazu war.
David, ihr Exmann, stellte weder für sie noch für Keir eine Gefahr dar.
Aber das galt nur so lange, wie er ihre große Lüge nicht aufdeckte …
Sanft küsste sie ihren Sohn und strich ihm übers Haar. Dann schloss sie die Tür, ging ins Schlafzimmer und machte sich bereit, zu Bett zu gehen.
Doch sie konnte nicht einschlafen. Der Gedanke an Rafe beschäftigte sie pausenlos. Deshalb versuchte sie den störenden Einfluss, den er auf sie hatte, zu verbannen, indem sie an ihr eigenes Leben dachte. Wie sie sich von einer jungen Frau zu dem Wrack entwickelt hatte, als das Rafe sie kennengelernt hatte.
Einsamkeit, frühe Schwangerschaft – und ein Ehemann, der diese Neuigkeit gefühlskalt kommentiert hatte. Früh war sie in eine Lethargie verfallen, aus der es kein Zurück gegeben hatte. Eine schwierige Fehlgeburt trug noch dazu bei, dass sie jeden Glauben an sich verlor und sich außerstande fühlte, ihr Leben zu meistern. Der Schock über die plötzliche Krankheit ihrer Mutter und Davids strikte Weigerung, sie nach Neuseeland reisen zu lassen, waren mehr, als sie ertragen konnte.
Und dann kam Rafe. Seine alles überragende Autorität machte David augenblicklich zu einem Zwerg. Rafe bot an, sie mitzunehmen. Zu dieser Zeit glaubte sie, wieder schwanger zu sein, und dieser Umstand verlieh ihr den Mut, sich gegen ihren Ehemann aufzulehnen.
In Neuseeland musste sie sich um ihre Mutter und ihren verwirrten hilflosen Vater kümmern. Damals stellte sie ernüchtert fest, dass sie tatsächlich wieder schwanger war.
Zunächst war sie erschüttert. Doch es gelang ihr, sich für die Zukunft zu rüsten. Und gestärkt durch das Gefühl der Verantwortung für ihr ungeborenes Kind konsultierte sie eine Rechtsanwältin.
„Machen Sie sich keine Vorwürfe“, beruhigte die Rechtsanwältin Marisa. „Sie hätten in der Vergangenheit Hilfe gebraucht, haben sie aber nicht bekommen. Nun erlauben Sie sich, Hilfe anzunehmen. Alles wird gut.“
Während der Jahre, die sie nach dieser Zeit bei ihren Eltern verbrachte und dort ihren Sohn großzog, entwickelte sie sich wieder zu der Persönlichkeit, die sie vor der Ehe mit David gewesen war. Ihr Ziel, es Keir an nichts fehlen zu lassen und ihn glücklich zu machen, hielt sie auf Trab.
Für ihn hatte sie ein neues Leben begonnen. Und er war der Grund, warum sie niemals mehr eine Ehe eingehen würde …
Gut, dass sich der nächste Morgen als extrem geschäftig herausstellte. Als Rafe eintraf, um sie und Keir abzuholen, war er so distanziert, dass sie das Gefühl hatte, es ginge keine Gefahr mehr von ihm aus. Er mochte sie ja attraktiv finden, aber eine kleine Geschäftsfrau wie sie hatte nicht die Klasse, die er gewohnt war. Die Frauen, mit denen Rafe Peveril sich einließ, hatten groß, schön und gut vernetzt zu sein, sie trugen Designerkleider und
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