Julia Extra Band 362
nach Rafes Abreise brachte sie Keir zu Bett und betrat den kleinen Salon. Sie öffnete die Tür und ging ein paar Schritte, als sie instinktiv spürte, dass sie nicht allein im Raum war. Ihr Herz blieb stehen. Dann begann es wieder unregelmäßig zu schlagen. Freude erfüllte sie.
„Wie … ich habe den Hubschrauber gar nicht gehört“, sagte sie mit leisem Vorwurf zu Rafe.
„Ich habe den Wagen genommen.“
Rafe sah sie forschend an. Sie sah müde aus, und trotzdem stand sie aufgerichtet da – jederzeit bereit, ihren Standpunkt zu vertreten und zu kämpfen.
Bei ihrer ersten Begegnung in Tewaka war ihm bereits ihr zerbrechliches Wesen unter der Maske ihres Selbstvertrauens aufgefallen, doch jetzt – jetzt wusste er, was die Ursache war.
In ihren Augen war Trotz zu lesen, als sich ihre Blicke trafen. Doch ihre Stimme wirkte unsicher, als sie sagte: „Sie sind früher zurück als erwartet.“
„Ich habe alles erledigt.“ Er goss ein Glas Wein ein und hielt es ihr hin. „Sie wirken verschreckt.“
Ihr Lächeln war echt, doch ihr Blick zeigte, wie angespannt sie war.
„Danke“, sagte sie und nahm einen winzigen Schluck. Rote Lippen legten sich über den Glasrand. „Verschreckt nicht gerade, nur ein wenig überrascht. Ich dachte, dass Nadine Sie frühestens morgen zurückerwartet.“
Erregung stieg in ihm auf. Nicht jetzt, dachte er grimmig und verfluchte heimlich seinen Körper, der offenbar seinen eigenen Regeln folgte.
Nachdem sie ihm einen weiteren flüchtigen Blick zugeworfen hatte, sagte sie: „Ich habe mich bei den Maklern erkundigt. Ich weiß nun, wie viel ich Ihnen für die Unterkunft schuldig bin.“ Sie nannte ihm eine Summe.
Rafe nickte. Der Betrag bedeutete ihm nichts – er hatte bereits beschlossen, das Geld für ihren Sohn auf einem Bankkonto anzulegen. Doch dass sie sofort auf dieses Thema zu sprechen kam, hieß, dass sie wieder Grenzen setzen und ihre Beziehung auf eine rein geschäftliche reduzieren wollte.
Also sollte er ihrem Beispiel folgen und vergessen, dass es noch etwas anderes zwischen ihnen gab.
Als ob sie seinen Gedanken erraten hätte, trat Marisa einen Schritt zurück und versuchte abzulenken: „Was für ein hübscher Raum das ist.“
„Es war das Lieblingszimmer meiner Mutter“, erklärte er. „Ich denke, es war schon immer das Refugium, der Rückzugsort für die jeweilige Dame des Hauses.“
Sie schien an diesem Thema interessiert. „Man muss sich doch sehr …“, sie hielt inne, dann fuhr sie mit einem gewinnenden Lächeln fort: „… sehr bodenständig fühlen, wenn man in einem Haus aufwächst, das schon Generationen davor bewohnt haben. Überhaupt nicht typisch für Neuseeland.“
„So unüblich ist das gar nicht. Es gibt viele Familien, die noch immer in derselben Umgebung leben wie ihre Vorfahren. Ursprünglich standen an dieser Stelle drei Häuser. Mein Urururgroßvater und seine Frau lebten noch in einem Zelt, bis ihr Stammesfürst zu einer festen Behausung riet – zu einer Art Palmenhaus.“
Er sah, wie ein Schatten über ihr Gesicht huschte, ehe sie die Lider niederschlug. Als sie wieder hochsah, wirkten ihre grünen Augen ausdruckslos.
Sie hatte so viele Geheimnisse. Warum nur? Er musste es herausfinden.
Doch als sie ihren Gedanken dann weiterspann, war er erstaunt. „Seine Frau muss damals sehr einsam gewesen sein.“
„Sollte man meinen. Aber im Laufe der Zeit bekam sie Kinder, und sie war eine begeisterte Gärtnerin.“
„Gezwungenermaßen.“
Das stimmte. „Sie hat sich mit anderen Frauen ihres Stammes angefreundet. Als ihr Mann früh starb, musste der älteste Sohn Manuwai übernehmen. Aber kurz darauf brannte er mit der Tochter des Häuptlings nach Australien durch. Sie muss sehr schön gewesen sein.“
Ihr Augen weiteten sich. „Was ist denn damals geschehen?“
„Die Eltern des Mädchens waren wütend“, erklärte er trocken. „Sie war bereits vorher einem Häuptling aus der Waikato-Region versprochen worden. Es gab einen großen Skandal, der sich erst legte, als das erste Kind kam. Dann war alles vergeben und vergessen.“
„Das ist nicht weiter ungewöhnlich, oder?“, sagte sie. „Kinder haben die angenehme Eigenschaft, den Erwachsenen rasch ans Herz zu wachsen.“
Er ging nicht darauf ein, sondern fragte: „Wo sind Sie eigentlich aufgewachsen?“
Ihr kurzes Zögern entging ihm nicht. Dann sagte sie ausweichend: „Überall.“
Als er die Augenbrauen hob, rang sie sich zu einem Lächeln durch.
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