Julia Extra Band 362
schaute auf die Uhr und blinzelte ihn an. „Nach Geschäftsschluss. Vielleicht.“
Der Frühstückstisch auf der Terrasse war schon gedeckt. Zu ihrer großen Erleichterung war von Rafe nichts zu sehen.
„Er telefoniert gerade mit Übersee“, erklärte die Haushälterin.
Marisa wollte beim Auftragen helfen, doch Nadine winkte ab. „Bleiben Sie, wo Sie sind, und genießen Sie die Stille“, sagte sie. „Keir und ich werden schon zurechtkommen.“
Daran könnte ich mich gewöhnen, dachte Marisa, als sie sich umsah. Der wundervolle Garten, die Bäume. Farbenfreudig, üppig – einfach schön.
Aber definitiv nicht der richtige Ort für sie …
Sie biss sich auf die Unterlippe, um sich auf den bevorstehenden Tag zu konzentrieren. Sie hatte sich vorgenommen, aus der ausgebrannten Garage das zu retten, was noch zu retten war.
Als sie ein seltsames Prickeln verspürte, ging ihr Blick intuitiv zum Haus. Rafe trat gerade durch die Terrassentür. Er bewegte sich mit jener geschmeidigen Eleganz, die sie mehr und mehr dahinschmelzen ließ. Sehnsucht überkam sie mit solcher Wucht, dass es ihr den Atem verschlug.
Er hingegen schien ungerührt von den nächtlichen Ereignissen. „Ich muss morgen Nachmittag verreisen und werde einige Tage nicht da sein“, erklärte er. „Deshalb werden wir, nachdem ich Sie heute Nachmittag abgeholt habe, als Erstes die abgebrannte Garage ansehen. Danach können Sie Großmutters Sportwagen ausprobieren.“
„Wie ein Spielzeugauto!“ Keir jubelte vor Begeisterung und schoss auf den Renner zu.
„Er mag wie ein Spielzeug aussehen, aber er geht ab wie die Post“, sagte Rafe. „Wir machen deinen Sitz auf der Rückbank fest, und dann schauen wir, wie sich deine Mutter fühlt, wenn sie ihn zum ersten Mal fährt.“
Es würde mir viel besser gehen, wenn er nicht dabei wäre, dachte Marisa und wandte schnell den Blick ab. Denn Rafe schien eine besondere Gabe zu besitzen, ihre Gedanken zu lesen. Doch in diesem Augenblick war er damit beschäftigt, den Kindersitz zu befestigen. Er folgte dabei Keirs Anweisungen, die dieser mit stolzgeschwellter Brust erteilte.
Sie wollte nicht, dass er so … so verdammt rücksichtsvoll und aufmerksam war. Am Nachmittag hatte er bemerkt, dass sie einem Zusammenbruch nahe gewesen war, als sie die rauchenden und verkohlten Reste der Garage gesehen hatte. Mit seiner praktischen Art hatte er ihr geholfen, den Schock zu überwinden.
Nichts konnte aus der Asche und den Trümmern gerettet werden. Ihr ganzes bisheriges Leben war zerstört. Doch auf dem Heimweg verflog wie durch ein Wunder die Trauer über den Verlust und wich einem bisher nie gekannten Gefühl von Freiheit und Leichtigkeit.
Gedankenverloren ging ihr Blick nun zu Keir, der konzentriert seine Anweisungen erteilte. Offensichtlich freute der Kleine sich sehr darüber, Rafe helfen zu dürfen. Sie hätten Vater und Sohn sein können – beide mit schwarzen Haaren und langen Gliedmaßen …
„Wir haben es geschafft.“
Rafes Stimme schreckte sie auf. Sie sah sich den Sitz an, der fachgerecht eingebaut und gesichert worden war.
„Zufrieden?“, fragte er mit einem ironischen Augenaufschlag.
„Und wie.“ Sie wandte sich ihrem Sohn zu. „Rein mit dir, junger Mann.“
Er gehorchte. Doch als sie ihm den Gurt anlegen wollte, widersprach er: „Das kann Mr Pev’ril machen, Mum.“
Ihr Herz machte einen Satz, während sie amüsiert beobachtete, wie Rafe geduldig weitere Anweisungen des Jungen über sich ergehen ließ.
„Das wär’s dann“, bemerkte er, als Keir die Konstruktion billigend abgenommen hatte.
Marisa schlüpfte hinter das Lenkrad, während widerstreitende Gefühle in ihr tobten. Liebe zu ihrem Sohn und das Bedürfnis, ihn zu schützen, aber gleichzeitig Angst davor, Keir etwas Wesentliches vorzuenthalten, indem sie ihn von seinem Vater fernhielt.
Und sie verspürte noch einen anderen verwirrenden Schmerz, der mit Keir nichts zu tun hatte.
Rafes Anwesenheit war ihr überdeutlich bewusst. Ihr Körper reagierte, wann immer er in der Nähe war. Wenn er nur nicht so … nun, so nett wäre auf seine autokratische Weise. Dass Keir sich in seiner Gegenwart wohlfühlte, konnte man aus seinem fröhlichen Geplapper schließen, wenn er sich mit Rafe unterhielt.
Es war unfair, dass sie Rafe dieses gute Verhältnis zu ihrem Sohn nicht gönnte. Warum entsprach er so ganz und gar nicht dem Klischee, das Marisa von einem typischen Industriemagnaten hatte? Dominant und intolerant, strotzend
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