Julia Extra Band 362
wie aus Kübeln. Als wir die Hütte erreichten, waren wir beide klitschnass, und Sie – Sie haben ausgesehen wie der leibhaftige Tod. Sie bekamen heftigen Schüttelfrost, und ich konnte doch nicht …“
Marisa hielt inne. Ihre damalige Hilflosigkeit stand ihr wieder deutlich vor Augen.
„Weiter“, sagte er tonlos.
Sie kaute eine Zeit lang auf ihrer Unterlippe herum, dann fuhr sie mit leiser Stimme fort. „In dem Raum gab es eine Art Bett. Eine Matte aus Kuhhaut, um genau zu sein, die auf einen Holzrahmen genagelt war. Zuerst hatte ich gehofft, man könnte das Holz zum Feuermachen verwenden. Aber weit und breit war nichts zum Anzünden. Draußen war es nahe am Gefrierpunkt …“ Sie holte noch einmal tief Luft und erzählte rasch zu Ende. „Der einzige Schutz vor der Kälte war eine zweite Kuhhaut als Decke. Doch sie wärmte nicht. Also stapfte ich zum Flugzeug zurück und holte unser Gepäck heraus.“
„Im strömenden Regen?“, fragte er zweifelnd.
„Ja, es regnete noch immer.“ Am Flugzeug fürchtete sie sich vor einer Explosion – und vor dem Anblick des toten Piloten. Zwei Dinge hielten sie über Wasser: Die Sorge, Rafe könnte sterben, wenn sie ihn nicht wärmte, und die Notwendigkeit, ihren Pass zu finden. Er war der einzige Weg für sie in die Freiheit.
Während des Rückwegs vom Flugzeug war sie müde geworden, und alles tat ihr weh. Doch als schlimmer noch empfand sie den Zustand, in dem Rafe sich befand. Einen erschütternden Augenblick lang hatte sie ihn für tot gehalten.
„Mir gelang es dann, Sie wachzurütteln. Sie hatten keine Ahnung, was geschehen war. Ich konnte Sie überreden, die nassen Kleider auszuziehen, doch in trockene zu schlüpfen, dazu kam es nicht mehr, weil Sie wieder in Ohnmacht fielen.“
Sie spürte noch heute den Schrecken jenes Tages. „Ich nahm sämtliche Kleidung aus unserem Reisegepäck und breitete die Sachen über Ihnen aus, dazu noch die Kuhhaut. Aber Ihr Schüttelfrost hörte trotzdem nicht auf. Ihre Haut fühlte sich kalt an – ich musste befürchten, dass Sie erfrieren, bevor Hilfe nahte.“
Rafes Miene gab weiterhin nichts preis. „Und Sie? Waren Sie nicht durchnässt und erschöpft?“
„Ich hatte Glück gehabt. Ich war nicht verletzt. Sie werden sich nicht mehr erinnern können. Aber Sie drückten vor dem Crash meinen Kopf nach unten, sodass ich nur ein paar Beulen davontrug. Ich war nass und ich fror. Deshalb zog ich alles außer BH und Höschen aus und schlüpfte zu Ihnen. Ich habe mich an Sie geschmiegt, und nach einer Weile kam die Wärme in unsere Körper zurück, und wir schliefen beide ein.“
„Und so haben sie uns aufgefunden“, stellte er wie selbstverständlich fest.
Sie schüttelte den Kopf. „Ich wachte vom Lärm des Hubschraubers auf. Ich streifte mir Kleidung über, aber Sie …“ Er hatte geatmet und er fühlte sich warm an, doch es war unmöglich gewesen, ihn zu wecken.
„In Mariposa glaubt man, wir hätten miteinander geschlafen.“
Marisa begegnete seinem prüfenden Blick. „Haben wir nicht.“ Es war eine klare Aussage. „Keiner von uns beiden wäre dazu in der Lage gewesen, glauben Sie mir.“ Und nach kurzer Pause: „Vor allem Sie nicht.“
„Und weshalb ist dann Ihr Mann der festen Meinung, ich sei Keirs Vater?“
Oh mein Gott, woher weiß Rafe das? Sie schloss die Augen. Und zwang sich, sie wieder zu öffnen und ihn anzusehen. „Weil ich es gesagt habe. Aber ich habe gelogen.“
Auch seine nächste Frage klang kompromisslos. „Warum?“
Ihre Kehle war wie ausgetrocknet. So musste sich eine Angeklagte vor Gericht fühlen. „Es war die einzige Ausrede, die mir einfiel, um mein Kind in Sicherheit zu bringen.“
„Wie meinen Sie das? In Sicherheit?“ Die Frage kam wie ein Pfeil aus seinem Mund geschossen. „Hat er Sie geschlagen?“
Sie schüttelte den Kopf. „Geschlagen hat er mich nie.“ Mehr wollte sie nicht dazu sagen.
Rafe hüllte sich in Schweigen.
Sie holte Atem und versuchte sich an einer weiteren Erklärung. „David will Kontrolle. Er braucht sie. Es ist bei ihm wie ein innerer Zwang. Deshalb hat er die Arbeit in Mariposa angenommen. Fern von allen Bekannten. Er hat sich auch dort nie am gesellschaftlichen Leben beteiligt. Und mich wollte er ebenfalls mit allen Mitteln davon fernhalten.“
Rafe runzelte die Stirn. „Wollen Sie andeuten, dass er Sie wie eine Gefangene auf der Hazienda hielt?“
„Ja“, hauchte sie.
„Der Unterschied zwischen Ihnen heute und der Frau, die ich auf
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