Julia Extra Band 362
bringe dich zum Haus zurück.“
„Ich will nicht nach Hause.“ Seit wann bezeichnete sie Rileys Gästehaus als ihr Zuhause? Ärgerlich biss Stace sich auf die Lippe. Was sollte Riley denn von ihr denken?
„Wohin dann?“
„Ist doch egal. Du brauchst dich nicht um mich zu kümmern. Frank erwartet dich bestimmt schon zurück.“
„Es ist erst zehn Uhr. Mit den Vorbereitungen fürs Mittagsgeschäft brauche ich erst in einer Stunde anzufangen. Außerdem ist Irene da.“ In diesem Moment setzte ein Wolkenbruch ein und durchnässte Stace im Nu.
„Jetzt sei nicht so stur, Stace, und steig endlich ein!“
In Anbetracht der Tatsache, dass die U-Bahn-Station noch drei Häuserblocks entfernt lag, ließ Stace sich überreden. Zumal sie eigentlich gar nicht allein sein wollte.
Kaum hatte sie es sich auf dem Ledersitz bequem gemacht, fuhr Riley los. „Wohin willst du?“, fragte er erneut.
„Zum Cedar Grove Friedhof. Ich sage dir, wie du fahren musst.“
„Ich kenne den Weg.“ Ein Schatten huschte über Rileys Gesicht. „Was willst du da?“
„Bitte halt an! Ich nehme lieber die U-Bahn.“ Stace wollte ihm nicht ihr Herz ausschütten. Früher oder später würde er es ihr brechen.
Tröstend umfasste er ihre linke Hand. „Schon gut, Stace. Vergiss meine Frage!“
Nach einem schnellen Seitenblick stellte sie fest, dass Riley sich offenbar ernstlich Sorgen um sie machte. Wer war dieser Mann wirklich? Ein Playboy, der zahllose Frauen vernascht hatte? Ein fürsorglicher Freund, der nicht zuließ, dass sie durch den strömenden Regen lief?
Als sie wenig später durch das große schmiedeeiserne Tor auf den Friedhof fuhren, dirigierte sie Riley an Fischteich und Kapelle vorbei nach rechts und weiter geradeaus. „Hier kannst du anhalten“, sagte sie schließlich mit tränenerstickter Stimme.
„Stace …“
„Bin gleich wieder da.“ Sie stieg aus und hastete durch den Regen, der sich mit den Tränen vermischte, die ihr über die Wangen liefen. Nachdem sie einen begrünten Hügel erklommen hatte, stand sie bald vor einer Grabplatte aus Granit mit dem Namenszug „KETTERING“, links darunter „Karen“, rechts „David“ und die Sterbedaten ihrer Eltern. „Du fehlst mir so, Dad“, schluchzte Stace. An ihre Mutter erinnerte sie sich kaum noch, denn als sie starb, war Stace noch ein kleines Kind gewesen. Der stets fröhliche David hingegen war ihr Fels in der Brandung gewesen, bis zu seinem plötzlichen Tod, den sie bis heute nicht verarbeitet hatte.
Stace merkte auf, als kein Regen mehr fiel. Riley stand neben ihr und hielt schützend einen Schirm über sie. „Danke.“ Sie rang sich ein wehmütiges Lächeln ab.
„Dein Vater?“
„Ja. Er ist heute vor acht Jahren gestorben. Das Morning Glory war sein Baby. Und Franks natürlich.“
„Deshalb hängst du so an dem Lokal.“
„Ohne ihn komme ich mir dort verloren vor. Seit ich groß genug war, auf einen Barhocker zu klettern, hat er mich jeden Tag mitgenommen. Nach der Schule sind meine Schwester und ich direkt im Morning Glory aufgetaucht, wo Frank uns mit allen möglichen Leckereien verwöhnt hat. Als wir alt genug waren, haben wir mitgeholfen. Tische abgewischt, den Boden gefegt. Meiner Schwester hat das nicht so gelegen, aber ich bin richtig in der Arbeit aufgegangen. Während der Schulferien habe ich regelmäßig gekellnert.“
„Und nach dem Studium hast du hier deinen Vollzeitjob aufgenommen?“
„Ich habe nicht studiert.“ Dabei hatte ihr Vater sich so sehr gewünscht, sie würde Betriebswirtschaft studieren. „Einen Monat nach meinem Schulabschluss wurde mein Vater vor dem Lokal überfahren und getötet. Statt mein Studium aufzunehmen, habe ich seinen Job übernommen.“ Behutsam strich sie über den Namenszug auf der Grabplatte. Dann richtete sie sich wieder auf. „Im Morning Glory hatte ich das Gefühl, ihm nahe zu sein. Und ich musste Frank beistehen, der auch sehr an meinem Vater gehangen hat.“
„Das tut mir unendlich leid, Stace. Du musst deinen Vater schrecklich vermissen.“
Sie nickte traurig. „Die Arbeit lenkt mich ab. Meine Schwester hat der Verlust viel härter getroffen. Aus lauter Verzweiflung hat sie angefangen, Drogen zu nehmen. Vorher war sie Jeremy eine sehr gute Mutter. Aber nach dem Tod unseres Vaters ist ihr alles entglitten. Eine Zeit lang hat sie bei mir gewohnt. Zwischendurch ist sie aber immer wieder verschwunden. Seit vier Wochen ist sie wie vom Erdboden verschluckt. Sie hat mir nur einen Zettel
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