Julia Extra Band 362
gewirkt hatte, während sie versuchte, den Beipackzettel des Tests zu lesen. Sie hatte scheinbar irrsinnige Angst davor gehabt, dass er ihr Problem erkennen könnte. Plötzlich packte ihn eine wahnsinnige Wut auf Monty Blake. Anstatt seiner Tochter zu helfen, ihre Behinderung zu bewältigen, hatte er sie damit allein gelassen und sogar noch dafür gesorgt, dass sie sich schämte!
„Es ist nie zu spät zum Lernen“, sagte er sanft. „Ein paar Stunden mit einem speziellen Lerntherapeuten würden dir helfen, damit besser klarzukommen und dein Selbstbewusstsein zu steigern.“
Zara wurde rot. Mit seinem üblichen Scharfsinn hatte er das Problem klar erkannt. Das Verhalten ihrer Familie hatte dazu geführt, dass sie ein großes Geheimnis aus ihrer Legasthenie machte. Dabei verschlimmerte die Angst vor Entdeckung das Ganze natürlich nur.
„Ich dachte, es wäre dir peinlich, dass ich Legasthenikerin bin.“
„Es gehört schon eine Menge mehr dazu, bis mir etwas peinlich ist, gioia mia . Deine Eltern haben völlig falsch reagiert. Albert Einstein und einige andere sehr berühmte Menschen waren Legastheniker“, entgegnete er lässig.
Sie bestiegen seinen Privatjet. Während Zara sich in einem der bequemen cremefarbenen Ledersessel niederließ, dachte sie mal wieder, wie wenig sie doch von dem Mann wusste, den sie geheiratet hatte. „Ich hatte keine Ahnung, dass du ein eigenes Flugzeug besitzt“, sagte sie.
„Ich reise sehr viel. Da ist es wirklich praktisch, weil ich viel schneller von A nach B gelange.“
„Wohin fliegen wir?“, fragte sie.
„Das ist eine Überraschung – hoffentlich eine, die dir gefällt.“
Zara schloss die Augen. Es dauerte nicht lang, und sie war eingeschlafen. Von dem Flug bekam sie gar nichts mit, bis Vitale sie sanft an der Schulter rüttelte, weil sie gelandet waren.
Die Fahrt durch die toskanische Hügellandschaft löste Freude und Schmerz in ihr aus. Obwohl sie Italien liebte, konnte sie nicht vergessen, wie sehr er sie bei ihrem letzten Besuch hier verletzt hatte.
„Ist das nicht die Straße, die wir zum Palazzo Barigo entlanggefahren sind?“, fragte sie nach einer Weile.
„Si.“ Sein Gesicht wirkte angespannt, die Antwort war knapp.
Als der Wagen schließlich den Torbogen zum Palazzo passierte, drehte sich Zara mit einem Stirnrunzeln zu ihm um. „Was machen wir hier?“
„Das wirst du gleich sehen.“ Vitale parkte vor dem Palazzo, worauf sie voller Neugier ausstieg. Wollte er sie seinem Onkel vorstellen? Rasch glättete sie ihr Kleid und wünschte dabei, er hätte sie vorgewarnt. Gemeinsam gingen sie die Treppe zum großen Eingangsportal hoch, dessen Türen sich bereits öffneten. Zara blieb wie angewurzelt stehen, als sie sah, dass sich das gesamte Dienstbotenpersonal in der Marmorhalle versammelt hatte und ganz offensichtlich darauf wartete, sie zu begrüßen.
Vitale legte eine Hand um ihren Ellbogen und stellte sie vor. Nirgendwo war ein Familienmitglied zu sehen. Als Edmondo, ein Butler mittleren Alters, sie in einen großzügigen Salon führte, war sie verwirrt, denn auch hier erwartete sie, Vitales Verwandte zu treffen, doch es war niemand da.
„Was in aller Welt tun wir hier?“, fragte sie Vitale erstaunt. „Bleiben wir etwa hier?“
„Der Palazzo gehört mir“, erklärte er ausdruckslos.
9. KAPITEL
Vitales unverblümtes Eingeständnis traf Zara wie ein Schlag ins Gesicht. Sie erinnerte sich an ihre gemeinsame Tour durch den Garten des Palazzos und wie einer der Gärtner ihm grüßend zugewinkt hatte. Prompt wurde sie rot.
„Oh, mein Gott, was bin ich für ein Idiot!“, keuchte sie benommen. Doch gleichzeitig erwachte ihr Zorn, weil er sie so zum Narren gehalten hatte. „Aber du hast mir gesagt, dass das Anwesen deinem Onkel gehört …“
„Nein, das habe ich nicht. Ich habe dir nur gesagt, dass ich bei meinem Onkel und seiner Familie gelebt habe, als deine Tante den Garten gestaltete …“
„Das ist doch Wortklauberei – du hast gelogen !“, schoss sie wütend zurück. „Du verhältst dich so aalglatt, dass ich dir niemals trauen kann!“
Vitale wahrte mühsam die Fassung. „Ich habe den Palazzo vor zwei Jahren gekauft, als mein Onkel sich entschlossen hatte, ihn zu veräußern. Ich habe zwar einige Reparaturen vornehmen lassen und den Besitz instandgehalten, aber ich habe bis jetzt nie daran gedacht, meinen Wohnsitz hierher zu verlegen“, gab er völlig ausdruckslos zu.
Das Sonnenlicht, das durch die großen Fenster fiel,
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