Julia Extra Band 362
Hände glitten von seinen Schultern zu seinem Rücken hinunter und liebkosten sanft seine vernarbte Haut. „Was ist da passiert?“, fragte sie abrupt.
Sie spürte, wie er sich versteifte. Finster blickte er sie an. „Ich wurde als Kind von meinem Stiefvater geschlagen. Er ist dafür ins Gefängnis gegangen.“
Entsetzen erfasste Zara. Tränen traten in ihre Augen, weshalb sie rasch die Lider senkte, damit er es nicht sah. Als er sich von ihr lösen wollte, hielt sie ihn fest. „Ich dachte, ich hätte schon eine richtige Niete gezogen, was meine Eltern angeht“, presste sie hervor. „Aber dich scheint es noch viel schlimmer getroffen zu haben.“
Vitale erkannte, dass es würdevoller wäre, die Umarmung zu ertragen, die sie ihm aufzwang. Liebevolle Gesten gehörten zu dem Wesen der Frau, die er geheiratet hatte. Insofern musste er lernen, damit umzugehen. Er hauchte ihr einen kurzen, unbeholfenen Kuss auf eine Braue und sah mit Entsetzen, wie sie eine Träne um ihn vergoss. „Es mag zwar sein, dass wir in der Elternlotterie nicht das große Los gezogen haben, aber das wird uns nicht davon abhalten, selbst tolle Eltern zu sein“, erklärte er voller Überzeugung. „Ich bin sicher, wir wissen beide, was wir nicht mit unserem Kind tun werden.“
Zara dachte daran, wie schlimm sein Rücken aussah. Sie dachte an den Schmerz und die Verzweiflung, die er ertragen musste, bis er aus dieser brutalen Umgebung herausgeholt worden war. Am liebsten hätte sie geweint, doch sie musste sich mit einem kurzen Schniefen und der Umarmung zufriedengeben. Er sah Hoffnung in der Zukunft und wollte nicht länger vergangenem Schmerz nachhängen, dachte sie voller Respekt. Ihre Ehe hatte wirklich alles, was es brauchte, um Bestand zu haben.
„Meine Mutter Paola heiratete mit achtzehn einen reichen Geschäftsmann. Sein Name war Carlo Barigo, und er war zwanzig Jahre älter als sie“, begann Vitale mit angespannter Stimme. Er hatte endlich nachgegeben und sich bereit erklärt, Zara die Geschichte zu erzählen, die sie seit ihrer Ankunft im Palazzo hören wollte.
Sie waren jetzt seit acht Wochen verheiratet. Es hatte viel Entschlossenheit und den richtigen Moment gebraucht, um einen Mann, der so distanziert war wie Vitale, dazu zu bringen, seine Geheimnisse zu enthüllen. In diesem Augenblick war er besonders entspannt, denn sie hatten sich gerade leidenschaftlich geliebt und lagen aneinandergekuschelt im Bett.
„Sprich weiter“, drängte sie sofort, als er zögerte.
„Loredana wurde gleich im ersten Ehejahr geboren. Nach fünf Jahren nutzte Paola dann die Tatsache aus, dass ihr Ehemann sehr oft geschäftlich unterwegs war. Sie freundete sich mit den falschen Leuten an, fing an zu trinken und Drogen zu nehmen und begann eine Affäre. Ihre Ehe ging den Bach runter. Carlo setzte sie vor die Tür, und auch ihre Eltern wandten sich von ihr ab. Sie hatte nie in ihrem Leben gearbeitet und war schwanger. Also zog sie bei ihrem Liebhaber ein …“
„Der Mann, der dich geschlagen hat?“, unterbrach Zara ihn mit einem Stirnrunzeln.
„ Si … er war Drogendealer für reiche Leute. Er hat sie geheiratet, weil er annahm, dass ihre Scheidung richtig Geld in die Kasse spülen würde – das tat es aber nicht. Er nahm außerdem an, dass es sein Kind war.“
„Du meinst dich“, vermutete sie.
„Ich war Carlo Barigos legitimer Sohn, aber Paola log ihn an, weil mein Vater ihr schon Loredana weggenommen hatte, und sie wollte mich nicht auch noch verlieren“, erklärte er knapp. „Das war auch die Entschuldigung für meinen Stiefvater, mich zu schlagen – dass ich nicht sein Kind war –, aber die Wahrheit war, dass er süchtig nach Gewalt war.“
„Hat deine Mutter nicht versucht, ihn aufzuhalten?“
„Zu diesem Zeitpunkt dachte sie bereits nur noch an ihren nächsten Schuss.“
„Es muss doch irgendjemanden gegeben haben, dem das nicht egal war“, entgegnete Zara verzweifelt.
„Nicht bis Loredana nach dem Tod von Carlo Barigo entschied, dass sie ihre Mutter treffen wollte. Doch als meine Schwester uns besuchte, stand Paola vollkommen neben sich, und Loredana lernte stattdessen mich kennen. Als sie meine Wunden sah, alarmierte sie das Jugendamt, und mein Stiefvater wanderte ins Gefängnis. Loredanas Intervention verdanke ich mein Leben“, sagte er ernst. „Ich war elf, als sie mein Vormund wurde. Ich ging ins Internat, während sie als Model arbeitete.“
Zum ersten Mal verstand sie seine tiefe Verbundenheit mit
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