Julia Extra Band 362
besorgniserregend. Karim musste handeln. Sehr behutsam nahm er Rachel das Baby aus dem Arm und verließ eilig die Suite. Und nun? Was tun mit einem schreienden Kind? Oder auch mit einem, das – noch – nicht schrie?
Der Junge verzog den Mund, produzierte winzige Spuckebläschen, die mit einem leisen Geräusch zerplatzten. Was zum Teufel mochte das bedeuten?
„Bsss“, machte der Kleine.
Karim räusperte sich. Er brauchte einen Übersetzer. Kleine Hände wedelten. Kleine Füße strampelten. Das pausbäckige Gesicht verzerrte sich. „Okay, okay“, sagte Karim eilig. „Wie wär’s, wenn wir … äh … ein bisschen nach unten gehen?“
Auf der Treppe begann das Baby Laute von sich zu geben, die nicht gerade fröhlich klangen. „Ich weiß wirklich nicht, was du hast“, murmelte Karim unglücklich. Jetzt fehlte nur noch, dass der Junge hungrig war oder, noch schlimmer, die Hose voll hatte.
Im Wohnzimmer war es inzwischen heller geworden. Über der Skyline der Stadt zog die Morgendämmerung herauf. Karim trat mit dem Kleinen im Arm ans Fenster.
„Guck mal“, sagte er. „Heute wird ein schöner Tag.“
Noch mehr leise Laute. So etwa hörte sich Karims Jacht an, wenn man den Motor startete. Oder na ja, die Jacht vielleicht nicht, aber das Motorboot, das … „Naaah. Naaah. Naaaah.
„Schsch“, machte Karim verzweifelt. Himmel. Der Kleine weinte. Wenig später brüllte er aus vollem Hals. Dicke Tränen kullerten ihm über das pausbäckige Gesicht. Karim hielt Ausschau nach irgendetwas, um sie zu trocknen. Oh Mann, wenn er wenigstens ein T-Shirt anhätte. „Nicht weinen“, bat er fast flehend. Sehr behutsam fuhr er dem Baby mit einem Finger über die Wangen. Eine winzige Hand umklammerte verzweifelt seinen Finger und versuchte energisch, diesen an den Mund zu zerren.
Und dann verstummte das Gebrüll, die Tränen versiegten, während das Kind anfing, auf Karims Finger herumzukauen. Mit einem erleichterten Grinsen ließ Karim sich auf einem der elegant geschwungenen Sofas nieder. Er legte die Füße auf den Couchtisch aus Teakholz und Glas und stopfte sich ein Sofakissen in den Rücken. Der Junge war immer noch mit seinem Finger beschäftigt. Und die Laute, die er dabei von sich gab, klangen diesmal – dem Himmel sei Dank – durchaus zufrieden.
„Schmeckt gut, hm?“, fragte Karim leise.
Er wurde mit einem feuchten Lächeln belohnt, das er erwiderte. Der Junge war wirklich niedlich. Sofern man Kinder liebte, was Karim nicht tat.
Obwohl, das war übertrieben. Er verstand nur einfach nichts von Kindern, mehr nicht. Der Kleine roch gut. Irgendwie weich … angenehm. Jetzt krähte er fast übermütig. Grinste Karims Finger an. Karim grinste zurück. Und gähnte. Das Baby gähnte auch. Die lang bewimperten Lider wurden schwer und schwerer, und schließlich fielen sie zu.
„So, Zapfenstreich, Kleiner“, sagte Karim leise. „Dann will ich dich mal zu Rachel zurückbringen.“ Aber Ethan war schon eingeschlafen. Und wenig später schlief Karim ebenfalls.
Als er nach einer Weile wieder erwachte und auf das schlafende Kind in seinen Armen schaute, dauerte es einen Moment, bis Karim sich erinnerte. Er stand auf und ging mit dem Baby wieder nach oben in die Gästesuite, wo Rachel immer noch friedlich im Sessel schlief. Sie sah wunderschön aus. Und so unschuldig. Erstaunlich, wie der äußere Schein täuschen konnte. Noch erstaunlicher allerdings war, dass er sich regelrecht nach ihr verzehrte. Rasch wandte er sich ab und legte das Baby behutsam ins Bett. Nachdem er es gut zugedeckt hatte, verließ er leise das Zimmer.
Rachel wartete, bis Karim gegangen war, bevor sie die Augen öffnete. Sie hatte gehört, wie er ins Zimmer gekommen war. Jetzt verstand sie gar nichts mehr. Weder die Tatsache, dass sich der Scheich um Ethan gekümmert hatte, während sie geschlafen hatte, noch, dass er den Kleinen tatsächlich mit etwas, das man nur als Zärtlichkeit bezeichnen konnte, behandelt hatte, ergab Sinn. Noch sinnloser war, dass sie sich fragte, wie diese großen zärtlichen Hände sich wohl auf ihrer nackten Haut anfühlen würden …
Dummkopf, schalt sie sich selbst und stand auf. Noch mal ins Bett zu gehen, brachte nichts, da war es schon besser, den Tag gleich zu beginnen. Und einen Fluchtplan zu entwerfen.
Doch an Flucht war nicht zu denken, denn sie stand unter ständiger Beobachtung.
Karim hatte Dienstboten, und Rachel war klar, dass er diesen Leuten irgendetwas über sie erzählt haben
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