Julia Extra Band 362
musste.
Als sie an diesem ersten Morgen mit Ethan auf dem Arm in die Küche kam, traf sie auf eine mollige Frau, die am Herd herumwerkelte und sie mit einem distanzierten Lächeln begrüßte: „Guten Morgen, Ma’am. Ich bin die Köchin, Mrs Jensen.“
Und ich bin die Gefangene , hätte Rachel am liebsten erwidert, aber sie machte nur ein unnahbares Gesicht. Karim war der Feind. Und das bedeutete, dass seine Angestellten ebenfalls ihre Feinde waren.
„Da ist ja der kleine Ethan. Oh, Hoheit hatte recht! Er ist wirklich ein süßes Kind.“
„Hat er das gesagt?“, fragte Rachel überrascht.
„Aber ja, Ma’am. Er wollte, dass wir …“
„Wer ist ‚wir‘?“
„Ach so … fast hätte ich es vergessen. Entschuldigen Sie, Ma’am.“ Mrs Jensen wischte sich die mehlbestäubten Hände an ihrer Schürze ab und drückte auf einen Knopf am Wandtelefon. „Ich soll Ihnen die anderen vorstellen.“
„Welche anderen denn?“
„Na ja, das übrige Personal. Also, außer mir ist da noch die Haushälterin, Mrs Lopez. Den Fahrer des Prinzen haben Sie ja gestern Abend schon kennengelernt. Und in einer Stunde kommt noch meine Enkelin Roberta als Verstärkung. Sie soll Ihnen mit dem Baby helfen“, fügte die Köchin hinzu, als Rachel sie verständnislos anschaute.
„Ich brauche keine Hilfe“, verkündete Rachel schroff und legte ihren Arm fester um Ethan.
„Sie werden Roberta mögen, Ma’am. Sie ist ausgebildete Kinderpflegerin, und sie liebt Kinder über alles.“
„Ich kann mich sehr gut allein um Ethan kümmern.“
„Das bezweifelt niemand, Ms Donnelly. Aber Hoheit hat mich trotzdem gebeten, meine Roberta zu fragen, ob sie Zeit hat … nur für alle Fälle, falls Sie sie brauchen.“
„Damit sie mich im Auge behält, meinen Sie wohl“, konterte Rachel kühl.
„Nein, Ma’am, ganz bestimmt nicht. Sie soll Ihnen helfen, das ist alles.“ Die Köchin klang gekränkt. „Hoheit hält nämlich große Stücke auf meine Roberta.“
„Darauf möchte ich wetten“, erwiderte Rachel spöttisch.
Mrs Jensen beäugte sie jetzt mit sichtlichem Missfallen. „Hoheit hat viel für Roberta getan, müssen Sie wissen. Erst hat er ihr Nachhilfestunden bezahlt, dann das College, und als sie sich entschieden hat, mit Kindern zu arbeiten, hat er die Kosten für diese Ausbildung auch noch übernommen.“
„Warum?“
„Was meinen Sie damit, Ma’m?“
„Warum macht er das?“
„Na, weil er ein guter Mensch ist“, sagte die Köchin jetzt fast genauso frostig wie Rachel. „Ein Mensch, der sich seiner Verantwortung bewusst ist.“
„Weil er ein Mensch ist, der sich in das Leben anderer Leute einmischt, wollten Sie wohl sagen.“
Das Gesicht der Köchin wurde unnachgiebig. „Ich kann Ihnen garantieren, dass Sie niemand finden, der Ihnen da zustimmt, Ma’am“, sagte sie steif.
Zum Glück kamen in diesem Moment die übrigen Hausangestellten in die Küche. Rachel hatte sich fest vorgenommen, alle unsympathisch zu finden, aber das hielt sie nicht lange durch, wie sich bereits nach kurzer Zeit herausstellte. Denn wie hätte sie auch Menschen unsympathisch finden können, die ihren kleinen Sohn vergötterten? Und schon nach zwei Tagen vergötterte Ethan, der süße Verräter, die Hausangestellten ebenfalls. Besonders Roberta.
Es war praktisch unmöglich, Roberta nicht zu mögen. Sie hielt sich angenehm zurück und war Rachel nur behilflich, wenn sie ausdrücklich darum gebeten wurde. Am Ende sagte sich Rachel, dass es wirklich idiotisch wäre, die junge Frau für etwas zu bestrafen, wofür sie nichts konnte. Und die Beziehung zu den übrigen Hausangestellten entspannte sich ebenfalls. Wenn Rachel lächelte, wurde ihr Lächeln bereitwillig erwidert, und wenn sie etwas Freundliches sagte, schallte es ebenso freundlich zurück.
Und was Karim anging – den bekam sie tagelang überhaupt nicht zu Gesicht. Was sagten seine Anwälte? Was war mit dem Vaterschaftstest? Andererseits war Rachel dieser Schwebezustand ganz recht. Warum sollte sie versuchen, einen Vorgang zu beschleunigen, vor dessen Ausgang sie sich fürchtete? Offensichtlich war Seine Scheichheit zu beschäftigt, um sich um Ethan zu kümmern.
Karim ging morgens schon sehr früh ins Büro. Und zwar fuhr er nicht mit dem Auto, wie Rachel erfahren hatte, sondern mit der U-Bahn. „Oder er geht zu Fuß“, hatte sein Fahrer John mit einem vorwurfsvollen Unterton in der Stimme hinzugefügt. „Weil das angeblich am schnellsten geht.“
Na toll, dachte
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