Julia Extra Band 363
manchmal kommt es anders … flüsterte eine Stimme in ihrem Kopf. Emma beschleunigte trotz der Übelkeit ihre Schritte.
Zehn Minuten später war sie auf dem Weg zur Apotheke.
Weitere zehn Minuten später hockte sie mit zitternden Knien auf dem Badewannenrand und starrte ungläubig die beiden rosafarbenen Linien auf dem weißen Teststreifen an. Es durfte nicht sein.
Sie war schwanger.
Von Gianni. Einem Mann, der auf der anderen Seite der Welt, in einer fremden Kultur zu Hause war.
Das war unmöglich. Wie konnte ihr so etwas passieren, und das nun schon zum zweiten Mal, mit dem Damoklesschwert der Krankheit über ihr? Es war ein einziger Albtraum.
Emma konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen. Wie hypnotisiert fixierte sie den Teststreifen, bevor sie sich einen Ruck gab und ihn in den Mülleimer warf.
Offenbar gehörte sie zu den zwei Prozent der Frauen, die trotz Verhütung schwanger wurden. Nein! Sie schloss die Augen und vergrub das Gesicht in den Händen. Bitte lass es nicht wahr sein.
Unten fiel die Haustür ins Schloss, und das Rumpeln eines Schulranzens, der auf dem Boden abgestellt wurde, drang an ihr Ohr. Vertraute Geräusche an einem Tag, der alles andere als alltäglich war. „Mummy, ich bin zu Hause!“
Grace. Reiß dich zusammen. „Im Badezimmer, Süße. Ich bin gleich bei dir!“, rief sie durchs Treppenhaus.
„Okay.“
Sie hörte, wie Grace den Kühlschrank öffnete. Die Geräusche erschienen ihr lauter und klarer als sonst.
Gianni. Sie musste es ihm sagen.
Nein. Sie konnte es ihm unmöglich sagen.
Sie durfte ihm in ihrem Zustand nicht unter die Augen treten. Er würde ihr sofort ansehen, dass etwas nicht in Ordnung war.
Unaufhaltsam flossen ihre Tränen. Ein zweites Baby. Eine neue Last auf ihrer Seele. Warum wurde sie auf so harte Weise für ihr kurzes Abenteuer mit Gianni bestraft?
„Mummy?“
„Ich komme schon.“ Emma rieb sich die Augen. Trotz aller Sorgen und Ängste war ihre Tochter das Beste, was ihr im Leben passiert war. Durch sie hatte sie erfahren, was intensives Glück und bedingungslose Liebe bedeuteten. Auch dieses Baby würde sie lieben. Zwar hatte sie sich dafür entschieden, den Gentest durchführen zu lassen, aber niemand konnte sie dazu zwingen, sich das Ergebnis mitteilen zu lassen. Jetzt, da drei Leben davon abhingen, konnte sie sich der Diagnose umso weniger stellen. Vor allem Gianni durfte nichts davon erfahren.
Emma ließ sich etwas kaltes Wasser übers Gesicht laufen, setzte ein tapferes Lächeln auf und ging nach unten.
„Hallo, mein Schatz.“ Sie drückte ihre Tochter ein wenig enger als sonst an sich. Grace erwiderte die Umarmung ebenso fest, als spürte sie, dass ihre Mutter Trost gebrauchen konnte, und erinnerte Emma einmal mehr daran, wie glücklich sie sich schätzen konnte. Um sich Sorgen zu machen, war später noch Zeit genug.
„Wie war es in der Schule? Habt ihr die Lieder für eure Theateraufführung geübt?“
Grace platzte fast vor Mitteilungsdrang. „Meine Lehrerin liegt im Krankenhaus. Und ich habe sechs Kindern etwas von meinem Mückenschutzmittel abgegeben.“ Sie legte eine gewichtige Pause ein. „Sogar zwei von den Jungs. Der Direktor hat nämlich gesagt, wir sollen uns in der Mittagspause damit einsprühen.“
„Das war sehr vernünftig von dir“, lobte Emma. „Schließlich wollen wir nicht, dass noch mehr Leute krank werden.“
„Genau.“ Grace wand sich aus der Umarmung. „Ich richte gleich eine Krankenstation in meinem Puppenhaus ein, falls Barbie oder ihre Freundinnen sich anstecken.“
„Das ist eine gute Idee, Süße.“ Emma blickte ihrer Tochter nach, die fröhlich die Treppe hinauf in ihr Zimmer rannte, und beneidete sie um ihre Unbeschwertheit.
6. KAPITEL
Für den Rest der Woche bekam Gianni Emma kaum zu Gesicht. Er vermutete, dass sie ihm absichtlich aus dem Weg ging. Er selbst hatte ebenfalls alle Hände voll zu tun, da weitere Fälle von Dengue-Fieber aufgetreten waren. Zusammen mit Andy und Ben, den beiden anderen Ärzten, versorgte er sowohl die allgemeine Station als auch die Ambulanz.
Wenn er zwischendurch bei Christine zu Hause anrief, erfuhr er regelmäßig, dass Emma das Haus gerade eben verlassen habe. Wenigstens befand sich Seamus auf dem Weg der Besserung.
Am Freitagnachmittag beschloss er, nicht länger auf eine zufällige Begegnung zu warten. Er würde Emma heute zu fassen bekommen, und wenn er an jede einzelne Tür im Ort klopfen musste.
Als hätte das Schicksal ein Einsehen, öffnete
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