Julia Extra Band 363
Abend, wenn ich nach Hause kam, gab es ein Kreuzverhör. Sie wurde neurotisch. Ich habe sie sogar dabei erwischt, wie sie mir nachspionierte.“
Kristie war nach wie vor davon überzeugt, dass er log. Er wollte nur sein Gesicht wahren.
„Deine Schwester hatte eine gespaltene Persönlichkeit. Von außen wirkte sie wie eine Traumfrau, aber ihre andere Seite entpuppte sich als der reinste Alptraum. Ich sage das wirklich nicht gerne, und ich erwarte nicht, dass du mir glaubst, aber …“
„Das tue ich auch nicht“, fuhr Kristie ihn an. „Ich zeige dir das Tagebuch. Dann wirst du schon sehen …“
Radford unterbrach sie. „Es wäre keine schlechte Idee, wenn du das Tagebuch noch einmal lesen würdest, um sicherzugehen, dass du dich nicht irrst.“ Er schritt in Richtung Tür. „Vielleicht sehen wir uns im Krankenhaus?“
„Nicht nötig. Ben ist auf eine normale Station verlegt worden – also schon auf dem Weg der Besserung.“
„Ja, ich weiß“, sagte Radford. „Ich habe ihn gestern Abend noch besucht.“
Kristie lief ein kalter Schauer über den Rücken. Es wäre so einfach für Radford, Ben zu entführen – jetzt, da er nicht mehr rund um die Uhr beobachtet wurde. Was sollte sie nur unternehmen?
„Du hast doch nicht geglaubt, dass ich mich nicht mehr um meinen Sohn kümmere? Ben hat sich gefreut, mich zu sehen. Er wollte mich gar nicht mehr gehen lassen.“ Damit verließ Radford den Raum.
Kristie musste sich erst einmal setzen. Verdammt! Das durfte doch nicht wahr sein! Sie musste handeln – aber wie?
Heirate den Kerl, riet ihr Gewissen.
Aber ich kann nicht. Er ist ein Lügner, der meine Schwester umgebracht hat.
– Jetzt übertreibst du aber. Ich dachte, du liebst ihn?
Das tue ich auch.
– Wo ist dann das Problem? Klär die Sache mit ihm. Mach keinen Fehler, den du für den Rest deines Lebens bereuen wirst!
Sie seufzte tief. Wieso war das Leben auf einmal derart kompliziert?
Abends setzte sich Kristie mit einem Glas Wein an den Küchentisch und ließ ihre Erinnerungen schweifen. Sie rief sich einen lange zurückliegenden Sommer ins Gedächtnis, in dem Tarah ihre erste Liebe kennengelernt hatte. Eines Tages war ihre Schwester sehr heftig aufgebraust und hatte sie beschuldigt, ihr den Freund ausspannen zu wollen. Doch Kristie hatte sich mit dem Jungen nur einmal unterhalten, das war alles gewesen.
Sie erinnerte sich an andere Anlässe, zu denen Tarah eine unbegründete Eifersucht entwickelt hatte. Ihre Schwester war auch sehr besitzergreifend gewesen, was Kleidung und Schmuck anbelangte. Sie hatte Kristie nie etwas geborgt, jedoch oft Sachen von ihr genommen, ohne zu fragen.
Kristie hatte überhaupt nicht mehr daran gedacht – Rivalität unter Geschwistern war an sich nichts Ungewöhnliches. Sie hätte nie gedacht, dass Tarah sich auch später noch so verhalten würde. Konnte es doch sein, dass Radford recht hatte …? Schließlich hielt sie es nicht länger aus und nahm wieder das Tagebuch zur Hand. Sie fand schnell die Stelle, die sie zuletzt gelesen hatte, und bemerkte, dass sie sie nicht ganz richtig gedeutet hatte. Tarahs Tränen machten viele Stellen zwar unleserlich, aber sie konnte jetzt klar erkennen, dass es ihre Schwester gewesen war, die mit Radford Schluss gemacht hatte, nicht umgekehrt.
Daraufhin konnte Kristie ihren Tränen keinen Einhalt mehr gebieten. Es fühlte sich so an, als hätte sich ein Ventil geöffnet, das jetzt all die angestaute Verbitterung und all ihren Hass gegen Radford hinausließ. Ihre Tränen vermischten sich mit den Tränen ihrer Schwester auf dem Papier. Es war ein unglaublich befreiendes Gefühl.
Sie empfand tiefstes Mitleid für ihre Schwester und bedauerte, dass sie damals nicht bei ihr gewesen war. Sie war Radford so dankbar, dass er darauf bestanden hatte, dass sie das Tagebuch noch einmal durchsah. Er war kein Lügner! Radford war ein aufrichtiger und ehrenwerter Mann. Ob er ihr jemals verzeihen konnte?
Die nächsten zwei Wochen im Tagebuch waren leer. Dann kam die Ankündigung:
Ich bin schwanger. Endlich habe ich Radford überlistet. Jetzt habe ich etwas von ihm, das er mir nie wieder wegnehmen kann.
Stattdessen hatte Tarah ihr Leben verloren, dachte Kristie bitter.
Sie fühlte sich den restlichen Abend unaussprechlich traurig, und als sie am nächsten Tag ins Krankenhaus ging, fand sie dort Radford vor. Ben strahlte bis über beide Ohren. Endlich besuchten ihn die zwei Personen, die er am meisten mochte.
„Mummy, Radford hat
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