Julia Extra Band 364 (German Edition)
die bei ihm kamen und gingen, seien für ihn nur schmückendes Beiwerk.
„Er wird dir das Herz brechen“, hatte eine hinzugefügt, aber das stimmte nicht. Rio hatte ihr nicht das Herz gebrochen. Damit so etwas überhaupt geschehen konnte, musste man einen Mann lieben, und sie hatte Rio nicht geliebt. Nicht eine Sekunde. Dafür war sie viel zu klug. Auch wenn der Gedanke an ihn immer noch wehtat oder sie sich manchmal vorstellte, wie es wäre, wenn er nach ihr suchen würde …
„Hallo, Esmé.“
Der Boden schien plötzlich zu schwanken. Ihr Herz und ihre Seele erkannten die tiefe Stimme mit dem leichten Akzent sofort, aber ihr Verstand sagte ihr, dass es nicht sein konnte. Rio konnte nicht hier sein. Unmöglich!
„Hast du Angst, mich anzusehen?“
Sie zitterte, wollte ihre Nervosität aber um jeden Preis vor ihm verbergen. „Unsinn“, sagte sie und schaffte es, in einem Ton zu sprechen, als hätte ihr Puls sich nicht beschleunigt. „Warum sollte ich Angst haben?“
Esmé atmete tief durch und setzte eine höfliche Miene auf. Dann drehte sie sich zu ihm um und sah den Mann an, der vor einigen Monaten ihr Liebhaber gewesen war, der Mann, der ihre Leidenschaft geweckt hatte.
Er irrte. Sie hatte keine Angst, ihn wiederzusehen. Sie war einer Panik nahe.
2. KAPITEL
Nicht dass Esmé körperlich Angst vor Rio hatte. Auch wenn er ein großer, kräftiger Mann war, wusste sie, dass er ihr niemals wehtun würde.
Aber sie hatte nicht erwartet, dass sein Anblick ihr einen so schmerzhaften Stich versetzen würde. Sie hatte geglaubt, immun zu sein gegen die raue Männlichkeit, die sein großer, schlanker, aber dennoch muskulöser Körper ausstrahlte. Glaubte vergessen zu haben, dass sein schwarzes Haar sich wie Seide anfühlte, den durchdringenden Blick aus smaragdgrünen Augen, mit denen er bis in ihre Seele zu schauen vermochte. Die gerade Nase und den Mund, der sie mit seinen Küssen verzaubert hatte, wenn sie sich liebten …
Nein, es war keine Liebe gewesen, nur körperliche Begierde. Das war alles, was er zu geben bereit war, und was sie von ihm gewollt hatte. Hatte sie ihm das nicht gesagt? Vergnügen, das war es, was sie beide gesucht hatten. Keine Verwicklungen, die sie nur von ihrer beider Karrieren ablenken würden.
Nur dass sie sich manchmal, wenn sie nach dem Liebesspiel in seinen Armen gelegen hatte, einsam fühlte. Unerträglich einsam.
Und das hätte sie ihm beinahe eines Nachts gestanden.
„Querida?“ , hatte er geflüstert. „Du bist so still. Machst du dir um irgendetwas Sorgen?“
„Nein“, wiegelte sie ab. Und das war genau die richtige Antwort gewesen, denn kurz darauf war er nach Madrid aufgebrochen – ohne sie. In dem halben Jahr, das sie schon zusammen waren, hatte er sie noch nie allein gelassen. Zusammen mit all den anderen unterschwelligen Anzeichen ein weiterer Beweis dafür, dass er im Begriff war, ihre Affäre zu beenden.
„Querida“ , sagte er auch jetzt in einem Ton, der das Kosewort verhöhnte, „ich vermute, du bist nicht sehr erfreut, mich zu sehen.“
Als Esmé in Rios Augen sah, entdeckte sie Kälte darin, und ihr Herz zog sich schmerzhaft zusammen. Er war einmal ihr Liebhaber gewesen. Jetzt war er ein Fremder. Er hatte sie nur gesucht, weil sie die erste Frau war, die ihn hatte sitzen lassen.
„Was machst du hier, Rio?“
Ein schmales Lächeln, bei dem sich kaum seine Mundwinkel hoben. „Wie immer direkt und auf den Punkt.“
„Und ich würde es sehr schätzen, wenn du mir die gleiche Höflichkeit erweist.“
„Aber selbstverständlich.“ Betont gelassen sah er sich um. „Das hier ist doch Espada, nicht wahr?“
„So ist es.“
„Nun, ich bin gekommen, um mich mit Jonas Baron zu treffen.“
„Aus welchem Grund?“
Rio verschränkte die Arme vor der Brust. „Bist du seine Sekretärin?“
„Nein.“
„Dann geht es dich nichts an.“
„Es geht mich sehr wohl etwas an“, gab Esmé scharf zurück. „Ich bin nicht dumm. Ich weiß genau, warum du wirklich gekommen bist.“
Ein träges Lächeln umspielte seine Lippen. „Ach ja?“, meinte er gedehnt.
„Ja, ich weiß es. Und ich bin nicht interessiert.“
„Woran bist du nicht interessiert?“ Er hob die dunklen Brauen. „Ah, du glaubst wohl, ich bin wegen dir gekommen.“
Sie spürte, wie ihre Wangen sich rot färbten. „Das habe ich nicht gesagt.“
„Das musst du auch nicht. Ich habe es gesehen, in deinen Augen.“ Als sie sich abwenden wollte, griff er nach ihrem Handgelenk.
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