Julia Extra Band 364 (German Edition)
erdrücken. Sie schloss die Augen. Doch als sie seine Hand auf der nackten Haut ihres Halses fühlte, erwachte der Widerstand in ihr. Sie wich so ruckartig zurück, dass der Kleine erschrocken aufweinte.
„Ich bin mit meinem Baby um die halbe Welt gereist, und alles, was du tust, ist, mich zu beleidigen – und ihn zurückzuweisen.“ Sie blinzelte die Tränen zurück. Nein, sie würde nicht weinen. Nicht vor ihm. „Nun, für eines muss ich mich wohl bei dir bedanken. Du hast mir eine Last genommen. Von diesem Moment an brauche ich dich nicht mehr als Henrys Vater anzusehen.“
Eine tiefe Falte erschien auf seiner Stirn. „Carrie …“
„Früher hätte ich dir alles gegeben“, flüsterte sie. Ihre Augen glitzerten im Mondlicht, als sie das Kinn anhob. „Jetzt hast du nichts mehr von mir zu erwarten.“
2. KAPITEL
Théo hatte schon vor Langem erkannt, wie zerstörerisch das vielbeschworene Konzept Liebe sein konnte.
Seiner Meinung nach war Liebe nichts als ein Märchen, das jedoch reale Leben ruinieren konnte, vor allem, wenn Kinder betroffen waren. Ein Mann und eine Frau glaubten, einander zu lieben, und zeugten ein Kind. Doch wenn ihnen dann klar wurde, dass sie einem Trugschluss aufgesessen waren, suchten sie anderenorts nach dem Hirngespinst. Zurück blieb ein Kind ohne echtes Heim, das dann bei Stiefeltern und Halbgeschwistern lebte, immer das fünfte Rad am Wagen, immer der ungewollte Verwandte. Ein Kind, das aus einer Liebe entstanden war, die später starb, fühlte sich nirgendwo auf der Welt zuhause.
Nicht dass Théo dieses Gefühl kannte, auch wenn sein adeliger französischer Vater und seine junge amerikanische Mutter sich hatten scheiden lassen, als er acht Jahre alt gewesen war. Für ihn war es ein Segen gewesen, hatten die beiden sich doch konstant gestritten.
Sein Vater war nach Paris gegangen, seine Mutter zurück nach Chicago. Den Sohn hatten sie ständig zwischen sich hin- und hergeschoben. Seine Mutter war inzwischen zum vierten Mal verheiratet, sein Vater hatte der Ehe abgeschworen und vergnügte sich stattdessen mit Gespielinnen, die halb so alt waren wie er.
Liebe war eine Droge mit der Wirkdauer einer Zigarettenlänge. Und wer wäre schon verrückt genug, auf solch flüchtigen Gefühlen eine Ehe aufzubauen? Ehe und Zuhause sollten wie ein Geschäft geführt werden. Sie brauchten die gleiche Sorgfalt.
Er hatte immer vorgehabt, mit ungefähr vierzig – also in vier Jahren – eine Frau für sich auszusuchen, nach den Kriterien Intelligenz, Schönheit und Fruchtbarkeit, um dann eine Art Pakt vorzuschlagen. Beide würden sie Wert auf ein stabiles Heim, Partnerschaft und Sex legen. Liebe würde keiner von ihnen beiden für erstrebenswert halten. Théo wollte erst Kinder haben, wenn er ihnen ein solides Zuhause bieten konnte.
So hatte er es immer geplant. Mit einem „Das ist Henry, dein Sohn“ hatte er nie gerechnet.
Aber natürlich log Carrie. Es war unmöglich. Schließlich hatte er immer einen Schutz benutzt.
Und doch …
Im Mondlicht musterte er sie. Im Schatten wirkte ihr Blick aus großen braungrünen Augen fast gehetzt und war ein Kontrast zu dem schönen blassen Gesicht, das von schimmerndem kastanienbraunen Haar eingerahmt wurde. Er konnte sehen, dass ihre schlanke Figur weiblichere Formen bekommen hatte. Es fiel ihm schwer, den Blick abzuwenden, doch er zwang sich, ihr wieder in die Augen zu sehen.
Das Mädchen, das er in Seattle gekannt hatte, war eine süße, idealistische Träumerin gewesen. Eine weltfremde junge Frau, die tagsüber als Bedienung arbeitete und abends Gedichte schrieb. Sie lebte bei ihren Eltern und hatte den Kopf voller Träume. Eine ganze Woche hatte es gedauert, um sie zu verführen. Ungewöhnlich lange für ihn. Doch als es dann so weit war, wurde ihm auch der Grund für ihre Zurückhaltung klar: Er war ihr erster Mann.
Noch immer überkam ihn ein Schauer, wenn er an die Erfahrung mit ihr dachte. Und die Affäre war viel zu kurz gewesen. Ein Wochenende hier im Schloss, dann eine Nacht in Seattle, wohin er zur Vertragsunterzeichnung für den Kauf einer japanischen Spedition gereist war. Es war die faszinierendste sexuelle Erfahrung seines Lebens gewesen, und der Himmel konnte bezeugen, dass er genügend Vergleichsmöglichkeiten hatte.
Doch dann hatte sie alles ruiniert, als sie sich nach dem Liebesspiel an ihn geschmiegt und geflüstert hatte: „Ich liebe dich, Théo.“
Innerhalb von Sekunden war er aus dem Bett heraus und angezogen
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