Julia Extra Band 370
postwendend wieder nach Hause, in der Befürchtung, dass Roxy ihre Kinder anstecken könnte.
Roxy konnte es ihr nicht verdenken, weil sie sich katastrophal fühlte und ihre Beschwerden viel mehr zu sein schienen als eine normale Erkältung. Und ihr Zustand verschlimmerte sich von Minute zu Minute. Am nächsten Morgen fühlte sie sich zu elend, um aufzustehen, und als sich ihr Zustand auch im Lauf der Woche nicht besserte, bekam sie Panik, weil sie nicht arbeiten konnte.
An einem eisigen Morgen, als ihre Stimmung ohnehin im Keller war, erhielt sie die Nachricht, dass man im Kit-Kat-Club, in dem sie regelmäßig auftrat, in Zukunft auf sie verzichten wolle. Das Management bedauere diesen Schritt, teilte man ihr mit, aber sie hätte eben den Umsatz leider nicht so angekurbelt wie erhofft.
Die Kündigung traf sie hart, trotzdem schaffte Roxy es, die Tränen zurückzuhalten. Es war reiner Selbstschutz, weil sie befürchten musste, dass sie nicht mehr aufhören konnte zu weinen, wenn sie erst einmal angefangen hatte. Und wozu sollte das gut sein?
Also zwang sie sich, praktisch zu denken und etwas für ihre Gesundheit zu tun, indem sie sich aus der Apotheke endlich Paracetamol besorgte. Aber sie fühlte sich so schwach, dass der Rückweg eine gefühlte Ewigkeit dauerte. Als sie endlich wieder vor ihrem Haus angelangt war, lehnte sie sich erschöpft gegen das Treppengeländer, viel zu beschäftigt damit, nach Luft zu schnappen, um direkt vor der Haustür den großen Koffer zu bemerken. Und als sie es dann schließlich doch tat, wurde ihr vor Schreck fast schwarz vor Augen. Sie blinzelte ungläubig.
Das war …
Sie blinzelte wieder.
Das war doch ihr Koffer!
Sie ging langsam die Treppe hinauf, auf den Koffer zu und ließ mit zitternden Fingern die Schnappverschlüsse aufspringen. Als überall an den Ritzen ihre Habseligkeiten herausquollen, merkte sie, dass ihr Tränen übers Gesicht rannen. Ihre Jeans. Ihre glitzernden Bühnentops. Ihre Kosmetika, verstaut in dem alten Kulturbeutel, der ihr aus glücklicheren Zeiten geblieben war. Und dazwischen lugte immer wieder Unterwäsche hervor, BHs und Höschen, die dort, wo etwas Luft war, hineingestopft worden waren.
Als Roxy den Koffer wieder zuschnappen ließ, tanzten gelbe Punkte vor ihren Augen. Und obwohl sie wusste, wie sinnlos es war, versuchte sie mit ihrem Schlüssel das unübersehbar neue Schloss an der Eingangstür zu öffnen, das sie mit seinem Glanz zu verspotten schien. Aber natürlich passte ihr Schlüssel nicht.
„Roxanne?“
Roxy erkannte die kultivierte Frauenstimme auf Anhieb. Als sie sich umdrehte, sah sie ihre Flurnachbarin Annabella Lang, eine privilegierte Blondine, die sich in der komfortablen Lage befand, allein von den Zinsen aus einem Vermögensfonds leben zu können.
Roxy schaffte es nur mit äußerster Mühe, sich ein höfliches Lächeln abzuringen, während sie ihren nutzlosen Schlüssel aus dem Schloss zog. „Hallo Bella.“
„Was ist denn bei Ihnen los? Da hat vorhin so ein Typ die Schlösser ausgewechselt.“
Was du nicht sagst, dachte Roxy müde. „Ich ziehe aus“, krächzte sie.
Aber Annabella interessierte sich offensichtlich für etwas ganz anderes. „Und dann …“ Sie legte eine Kunstpause ein, um ihren Worten die gewünschte Dramatik zu verleihen. „Das erraten Sie nie, wer dann mit unheilverkündender Miene hier auftauchte.“
„Wer denn?“, fragte Roxy, obwohl sie es sich denken konnte.
„Titus Alexander“, verkündete Annabella triumphierend. „Der Duke von Torchester! Ich wusste gar nicht, dass Sie ihn kennen! Und dass ihm dieses Haus hier gehört auch nicht“, fügte sie in beleidigtem Ton hinzu.
Roxy verzichtete darauf zu sagen, dass sie es auch nicht gewusst hatte. Sie war am Ende. Hinter ihren Schläfen hämmerte es, ihr Hals brannte wie Feuer. Sie musste sich sofort irgendwo hinlegen, sonst klappte sie womöglich noch hier mitten auf der Straße zusammen. „Ich muss los“, stieß sie mühsam hervor.
„Wohin gehen Sie denn?“, fragte Annabella verständnislos, während sie zuschaute, wie Roxy sich mit ihrem schweren Koffer abmühte.
Unter anderen Umständen hätte sie jetzt vielleicht eine Freundin erfunden, die sich angeblich bereit erklärt hatte, sie aufzunehmen, aber dafür fehlte ihr im Moment die Kraft. Und es war ihr schlicht egal, was Annabella von ihr dachte.
„In ein Hostel“, murmelte sie. „Nur für eine Nacht.“
Sie zerrte ihren schweren Koffer die Straße hinunter und ging erst
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