Julia Extra Band 370
gefunden?“
„Molon Labe.“
Er sah sie skeptisch an. Seine Augen waren genauso strahlend blau, wie Shirley sie in Erinnerung hatte. Schnell holte sie Atem.
„Mein Büro gibt diese Adresse nicht heraus.“
Nein. Nicht einmal, wenn man persönlich vorsprach. „Ich habe sie recherchiert.“
Sie hatte ein paarmal das Café auf der anderen Straßenseite besucht, um festzustellen, welchen Kurierdienst das Unternehmen regelmäßig benutzte. Wenn der Vorstandsvorsitzende nicht im Büro arbeitete, mussten ihm Dokumente zur Unterschrift geliefert werden, wo auch immer er war.
Beim Kurierdienst war man nur allzu entgegenkommend gewesen, als angeblich eine Angestellte von Molon Labe angerufen hatte, um nachzuprüfen, ob sie eine wichtige Auslieferungsadresse richtig notiert hatten.
„Aber du bist nicht als Journalistin hier?“
„Ich bin keine Journalistin.“
„Und anscheinend auch keine Stripperin.“ Hayden musterte sie von oben bis unten. „Schade drum.“
Sie zwang sich, nicht zu reagieren. Sie hatte das Outfit – kniehohe Stiefel und ein knielanges schwarzes Kleid mit Taillengürtel und rundem Ausschnitt – sorgfältig ausgewählt. Allerdings war sie eher auf „Ich bin eine Frau“ als „Ich bin Nackttänzerin“ aus gewesen.
„Früher konntest du Sarkasmus nicht leiden.“
Hayden kniff die Augen zusammen, ansonsten zeigte er sich nicht überrascht, dass sie ihn schon kannte. „Ich habe Sarkasmus lieben gelernt in den Jahren, seit …?“ Er überließ es ihr, den Satz zu beenden.
Er erkannte sie nicht.
Kaum verwunderlich, wenn man bedachte, wie anders sie ausgesehen hatte, als er ihr zuletzt begegnet war. Vierzehn, ein Strich in der Landschaft, mattbraunes Haar. Ein Kind. Mode – und ihren ganz eigenen Stil – hatte sie erst mit sechzehn entdeckt.
„Du kanntest meine Mutter“, sagte Shirley vorsichtig.
Hayden stand auf. Jetzt überragte er sie und hatte einen großartigen Blick auf ihren tiefen runden Ausschnitt, was er voll ausnutzte. Schließlich sah er ihr wieder in die Augen.
„Ich habe zwar früh angefangen, aber anzudeuten, dass ich dein Vater sein könnte, geht vielleicht etwas zu weit.“
Sehr witzig.
„Carol-Anne Marr.“
War es falsch, sich über die Qual zu freuen, die er nicht schnell genug verbergen konnte? Dankbar für jedes Zeichen zu sein, dass er ihre Mutter nicht vergessen hatte, sobald sie unter der Erde war? Dass er nicht ganz so treulos war, wie sie befürchtet hatte?
„Shirley?“, flüsterte er.
Wie sehr es sie befriedigte, dass er sogar noch ihren Namen wusste! Hayden Tennant war kein Idol mehr. Er war inzwischen von dem Podest gestürzt, auf das sie ihn gestellt hatte. Trotzdem prickelte ihre Haut.
Sie hob das Kinn. „Shiloh.“
„Shiloh?“
„So nenne ich mich jetzt.“
„Ich dich nicht“, sagte er verächtlich. „Was gibt es an Shirley auszusetzen? Nicht hip genug für dich?“
Es brachte sie fast um, dass er noch immer so scharfsinnig war und der Wahrheit sofort nahekam. Und dass sie noch immer so dumm war, das zu bewundern.
„Deine Mutter hat dir einen Namen gegeben. Ihn zu ändern ist respektlos.“
„Du kritisierst mich, ich würde sie nicht in Ehren halten?“
Überraschung zeigte sich auf seinem Gesicht. Und etwas anderes. Reue? Schuld? Verwirrung? Nichts davon passte zu dem arroganten, selbstbewussten Mann. Was auch immer es war, es verschwand schnell. Er setzte eine gleichmütige Miene auf.
„Möchtest du mir etwas sagen, Shirley?“
Plötzlich bot sich ihr die perfekte Gelegenheit, dieses Kapitel ihres Lebens abzuschließen – und sie war sprachlos. Wütend funkelte sie ihn an.
Er schüttelte den Kopf. „Du magst mich nicht, und dabei kennst du mich doch gar nicht.“
„Ich kenne dich. Sehr gut.“
„Wir sind uns nie begegnet.“
Sie waren sich begegnet, aber er hatte es offensichtlich vergessen. Außerdem hatte sie heimlich an jedem Treffen teilgenommen, zu dem ihre Mutter samstags eingeladen hatte. Als Belohnung für eifrige Studenten. Hayden Tennant war bei jedem gewesen.
„Ich kenne dich durch meine Mutter.“
„Wenn du behaupten willst, dass sie mich nicht mochte, muss ich dir widersprechen.“
„Sie hat dich angebetet.“ Ihre Tochter hatte ihn auch angebetet, aber das tat nichts zur Sache. Shirley holte tief Luft. „Weshalb doppelt schlimm ist, was du getan hast.“
„Was habe ich denn getan?“, fragte er stirnrunzelnd.
„Oder vielmehr, was du nicht getan hast.“ Sie wartete darauf, dass der
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