Julia Extra Band 370
schrecklichen Nacht, in der sie von Albträumen geplagt gewesen war, überlegt, einen Rückzieher zu machen. Wer wollte schon mit einer so gestörten Frau verheiratet sein?
Ihre Eltern waren am Vortag der Trauung eingetroffen. Seitdem spielte ihr Vater die Rolle des Mannes, der seine Tochter auf Händen trug. Ihre Mutter wirkte in Haute Couture und kostbaren Juwelen dekorativ wie immer. Ihr Atem verriet allerdings den Alkoholgenuss, auch wenn sie noch so viele Pfefferminzbonbons lutschte.
Höflich half ihr Vater Natalie vor der Kapelle aus dem Wagen. „Das hast du wirklich gut gemacht“, sagte er. „Ich hatte schon befürchtet, du würdest einen bettelarmen Vertreter heiraten, aber Angelo Bellandini ist ein richtig guter Fang. Er ist zwar Italiener, doch bei seinem Reichtum kann man schon mal darüber hinwegsehen. Ich hätte dir gar nicht zugetraut, dir so einen dicken Fisch zu angeln.“
Natalie warf ihm einen verbitterten Blick zu. „Das habe ich wohl dir zu verdanken. Immerhin hast du den Köder ausgeworfen.“
„Was blieb mir den anderes übrig, du dumme Gans?“, zischte er harsch. „Das Schicksal deines Bruders hängt von Bellandini ab. Ich bin nur froh, dass er dich zurückhaben wollte. Nachvollziehen kann ich es allerdings nicht. Man kann dich wohl kaum als ideale Ehefrau bezeichnen – mit deinem Dickkopf. Von Geburt an warst du schon so stur.“
Natalie biss die Zähne zusammen, als ihr Vater sie über den Kiesweg führte. Schon in frühester Kindheit hatte sie gelernt, ihm nicht zu widersprechen. Wie viele ungesagte Worte hatte sie im Laufe der Jahre schon hinunterschlucken müssen! Wie giftige Säure brannten sie in ihr.
Angelo blinzelte, als Natalie auf ihn zuschritt. Sein Herz machte einen seltsamen kleinen Hüpfer. Wie eine Märchenprinzessin sah sie in dem mit glitzernden Strasssteinen besetzten, elfenbeinfarbenen Brautkleid aus. Es betonte ihre schlanke Figur und hatte eine angedeutete Schleppe. Der hauchdünne Schleier wurde von einer schlichten Tiara gehalten, konnte jedoch nicht über Natalies Blässe hinwegtäuschen. Ihr Blick war auf ihn gerichtet, wirkte aber leicht abwesend und wie gehetzt. Schuldbewusst überlegte Angelo, ob sein Handeln wirklich richtig gewesen war.
Jetzt stand sie neben ihm vorm Altar. Behutsam nahm Angelo ihre – eiskalten – Hände in seine. „Du bist wunderschön“, wisperte er. Ihre Lippen bewegten sich leicht. Doch als Lächeln konnte man das nicht bezeichnen.
„Das Kleid hat deine Mutter ausgesucht“, verriet sie.
„Mir gefällt der Schleier.“
„Der schützt vor Fliegen.“
Lächelnd drückte er ihr die Hände und gewann den Eindruck, sie suchten Halt bei ihm. Doch dann fühlten sie sich wieder kalt und leblos an.
Der Priester trat vor, um die Anwesenden zu begrüßen.
„… Sie dürfen die Braut jetzt küssen.“
Natalie hielt die Luft an, als Angelo behutsam den Schleier lüftete, und musste eine unerwartete Träne zurückdrängen. Sie hatte sich doch fest vorgenommen, die Zeremonie ungerührt über sich ergehen zu lassen! Doch die Worte waren zu ergreifend gewesen und hatten sie an ihren heimlichen Traum vom ewigen Glück zu zweit erinnert, in dem sie und ihr Bräutigam einander liebten, beschützten, ehrten und so akzeptieren, wie sie waren.
Zärtlich, fast ehrfürchtig, drückte Angelo einen Kuss auf ihre bebenden Lippen. Doch vielleicht war dieser Eindruck auch Wunschdenken. Während der Trauungszeremonie hatte sie sich plötzlich gewünscht, dass Angelo sie nicht aus Rache, sondern aus Liebe heiratete und dass er wirklich und wahrhaftig den Rest seines Lebens mit ihr verbringen wollte, trotz ihres ‚Dickkopfs‘.
Die Erinnerung an die gehässigen Worte ihres Vaters verdarb ihr die Freude an Angelos Kuss. Fast unmerklich lehnte sie sich zurück, entzog sich ihm. Angelo ließ sich nichts anmerken. Er hakte sie unter und geleitete sie gemessenen Schrittes aus der Kapelle, um die Gäste zu begrüßen.
Der Hochzeitsempfang fand in dem weitläufigen, von schwerem Blütenduft erfüllten Garten der Großeltern statt, die eigens ein Festzelt hatten aufstellen lassen. Der Champagner floss in Strömen, das Essen schmeckte köstlich, wurde von Natalie jedoch kaum angerührt. Stattdessen beobachtete sie, wie ihr Vater seinen weltmännischen Charme spielen ließ und wie ihre Mutter ein Glas nach dem anderen hinunterstürzte und immer mehr und lauter redete.
„Deine Mutter scheint sich ausgezeichnet zu amüsieren“, flüsterte Angelo
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