Julia Extra Band 372
wieder ein, den Elise zuvor gefunden hatte.
Um sechs Uhr abends fragte er, ganz steif vom langen Fahren: „Sollen wir haltmachen und irgendwo übernachten?“
Elise las den Namen auf einem Ortshinweisschild. „Kommen wir heute nicht weiter als bis hier? Wir sind ja noch nicht mal über der Grenze nach Nevada.“
Er ignorierte ihren Protest. „Bei der nächsten Ausfahrt mit einem Motel fahren wir vom Highway runter.“
„Aber es ist doch erst sechs!“
„Ich habe einen ganz steifen Rücken.“
„Ich kann doch fahren.“
Er sah zu ihr hinüber. „Ich würde Ihnen doch nie meine Wagenschlüssel geben. Sie könnten ja vergessen, sie mir zurückzugeben und mitten in der Nacht mit meinem SUV verschwinden.“
Sie seufzte. „So wenig vertrauen Sie mir?“
Er lenkte seine Aufmerksamkeit wieder auf die Straße. „Ich weiß, Sie wollen so bald wie möglich nach Hause kommen, und ich verspreche Ihnen, die Verzögerung morgen wieder reinzuholen.“
„Okay“, willigte sie ein, aber Jared hörte die Enttäuschung in ihrer Stimme. Unwillkürlich fielen ihm Zeiten ein, in denen er es auch kaum hatte erwarten können, nach Hause zu kommen. Er holte tief Luft und verdrängte die Erinnerungen an Plätzchen, die MacKenzie mit rot und grün gefärbtem Zuckerguss überzogen hatte, damit sie weihnachtlich aussahen. An die Willkommensküsse beim Wiedersehen nach langer Trennung. An das Zusammenkuscheln unter der Bettdecke, weil der Vermieter nachts die Heizung herunterdrehte.
„Da.“ Elises Stimme riss ihn aus seinen Gedanken. „Ein Motel.“
Er fuhr von der Autobahn herunter. Vor dem Moteleingang stieg er aus und half Elise, Molly vom Sitz loszumachen.
„Hallo, Kleine“, sagte er zu ihr.
Molly verzog das Gesicht und schmiegte sich an die Schulter ihrer Mutter.
„Sie ist noch nicht wach genug, um sich an Sie zu erinnern.“
„Ich nehme es ihr nicht übel.“
Jared buchte zuerst, damit er Elise die kleine Molly und die Wickeltasche abnehmen konnte. Elise öffnete ihre Handtasche und holte das Portemonnaie heraus. Obgleich Jared sonst nicht neugierig war, bemerkte er unwillkürlich, dass sie nicht viel Bargeld dabeihatte. Vermutlich hatte sie ja eine Kreditkarte und ein paar große Banknoten. Er trat ein Stück beiseite.
„Wie viel kostet eine Übernachtung?“
Als er Elises Frage hörte, ging Jared ein Stückchen weiter in die Lobby hinein. Er erinnerte sich an denselben Ton in MacKenzies Stimme, als sie den Hausverwalter nach der Miete für ihre erste gemeinsame Wohnung gefragt hatte. Jared hatte selbst fragen wollen, aber sie war ihm zuvorgekommen. Sie war überzeugt gewesen, dass sie besser mit Geld umgehen konnte als er. Als er daran dachte, wie schlecht sie tatsächlich mit Geld umgehen konnte, musste er lachen, spürte aber sogleich einen Kloß im Hals.
Sofort schob er die trüben Gedanken beiseite und beobachtete stattdessen Elise. Obwohl er ein Stück weit entfernt stand, hörte er sie nach dem günstigsten Zimmer fragen und aufstöhnen, als der Empfangschef ihr mitteilte, dass alle gleich viel kosteten. Ein Preis, der offensichtlich zu hoch für sie war.
Jared hätte sich am liebsten geohrfeigt, nicht an die Kosten gedacht zu haben, als er vorschlug, gleich im nächsten Motel zu übernachten. Andererseits scheute er sich auch, zu ihr zu gehen und ihr zu sagen, dass sie noch weiterfahren könnten, um etwas Günstigeres zu finden. Das würde sie nur noch mehr in Verlegenheit bringen. Er überlegte sogar, ob er ihr das Zimmer bezahlen sollte, wusste aber genau, dass sie das nie annehmen würde. Die Frau hatte ihren Stolz und nahm offensichtlich nur ungern Hilfe an.
Aber ihre Situation erinnerte ihn so sehr an MacKenzies und seine zu Beginn ihrer Ehe, dass er unwillkürlich an sie denken musste. Ihm hatte die knappe Kasse nichts ausgemacht, aber es war schrecklich für ihn gewesen, zu sehen, dass MacKenzie die letzten Jahre ihres Lebens sehnsüchtig vor Schaufenstern auf Dinge blicken musste, die sie sich nicht hatte leisten können. Und Elise war obendrein noch eine junge Mutter. Als Mutter mit einem Baby sollte man keine Geldsorgen haben. Würde Jared den Mistkerl kennen, der sie verlassen hatte, dann würde er ihm einen Tritt in den Hintern verpassen.
Aber er wusste ja noch nicht einmal, ob der Kerl Elise verlassen hatte oder ob es ihre eigene Entscheidung gewesen war, dem Vater ihres Kindes gar nichts von ihrer Schwangerschaft zu erzählen. Sicher war es ihr wichtig, emanzipiert und
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