Julia Extra Band 372
musste erst ihre familiäre Situation erkunden, bevor er sie hier allein zurückließ.
5. KAPITEL
Sie schwiegen wieder, bis sie in Four Corners ankamen. Jared sah sich beeindruckt um. Es war nicht das erste Städtchen in ländlicher Gegend, das er besuchte, aber dieses hier hätte sich gut auf jeder Weihnachtskarte gemacht. Die viktorianischen Häuschen mit ihren weißen Zäunen waren mit roten Schleifen und grünen Kränzen weihnachtlich geschmückt.
Elise zog einen Brief aus der Handtasche. „Wir müssen zum Notar und dort den Schlüssel holen.“
„Steht eine Adresse auf dem Brief?“
„Hauptstraße.“
Er lachte. „Natürlich. Es ist eine kleine Stadt, da liegt alles Wichtige an der Hauptstraße.“
Als sie die Kanzlei gefunden hatten und die hölzernen Verandastufen hinaufgingen, sagte Elise: „Ich warte ständig darauf, dass jemand in einer Pferdekutsche die Straße heruntergefahren kommt.“
Jared lachte. „Ja, aber ich finde es wunderhübsch hier, richtig anheimelnd.“
Als sie ins Empfangszimmer traten, saß dort eine Frau um die fünfzig und tippte eifrig auf ihrer Computertastatur. „Was kann ich für Sie tun?“
„Ich bin Elise McDermott.“
Das Gesicht der Frau hellte sich auf. „Debbie McDermotts Enkelin?“
„Ja.“
Die Frau nahm den Hörer auf. „Mr Collins, Debbies Enkelin ist hier.“ Und nach einer Pause: „Alles klar.“
Sie legte den Hörer auf und blickte Elise lächelnd an. „Sie können hineingehen.“ Dann sah sie Molly an. „Ich passe gerne auf sie auf, während Sie mit Mr Collins sprechen.“
Elise zuckte zusammen, und Jared sah wieder die Frau vor sich, die sich jedes Mal, wenn eine neue Situation auftauchte, zurück in das kleine Mädchen verwandelte, das von seinem Dad verlassen worden war. In den Teenager, der seine Mom verloren hatte, und in die schwangere junge Frau, die vom Vater ihres Kindes im Stich gelassen worden war.
Sie drückte Molly schützend an sich und erwiderte lächelnd: „Vielen Dank. Aber es geht schon.“
Als sie in das Büro traten, erhob sich der ältliche Notar hinter seinem glänzenden Mahagonischreibtisch. Mit seinem weißen Haar und dem Schnauzbart, den roten Wangen und dem Bäuchlein, über dem die schwarze Weste spannte, erinnerte er Jared an den Weihnachtsmann.
„Guten Tag, Elise. Ich bin George Collins. Setzen Sie sich doch!“
Elise jedoch hatte es eilig. „Wir sind seit Tagen unterwegs. Wenn Sie uns also bitte den Schlüssel geben könnten, damit ich Molly versorgen kann, dann wäre ich Ihnen sehr dankbar.“
„Selbstverständlich“, sagte George freundlich und holte den Schlüssel aus einer Schublade. „Sie haben doch sicher den Identitätsnachweis dabei, um den ich Sie gebeten hatte, zum Beweis, dass Sie Elise McDermott sind.“
Jared nahm die kleine Molly auf den Arm, während Elise in ihrer Handtasche wühlte und ihre Geburtsurkunde und den Führerschein herausholte. Auf Letzterem stand ihre Adresse in Kalifornien, dazu zeigte er ihr Foto.
George blickte auf ihr Konterfei, dann auf Elises Gesicht, dann wieder auf das Foto und sagte: „Passt.“ Er reichte ihr die Schlüssel und dazu ein Blatt Papier. „Der Sicherheitsschlüssel ist für den Eingang, die anderen für die Außengebäude. Auf dem Papier steht die Anfahrtsbeschreibung. Kommen Sie morgen vorbei, dann können Sie die erforderlichen Dokumente unterschreiben.“
Elise wandte sich schon zum Gehen, doch Jared wollte es nicht dabei bewenden lassen. Er war nicht ihr Anwalt, daher konnte er später nicht zurückkommen und Fragen stellen. Die einzige Möglichkeit, seine Neugier zu befriedigen, bestand jetzt, solange Elise noch dabei war.
„Mr Collins, Elise kannte eigentlich ihre Familie gar nicht. Können Sie uns ein paar Fragen beantworten?“ Er redete schnell weiter, um Elise keine Möglichkeit zum Protestieren zu geben. „Lebt ihr Vater noch hier? Und hat sie noch Geschwister?“
Elise erstarrte. Jared meinte es sicher gut, aber das ging ihn nichts an. Sie war noch nicht bereit für die Wahrheit, und schon gar nicht dafür, sie auf diese Weise zu erfahren. In ihrem Leben war sie bereits mit vielen schockierenden Wahrheiten konfrontiert worden. Dein Dad kommt nicht mehr nach Hause. Deine Mom ist tot. Ich will nicht Vater werden. Das musst du mit dir selbst ausmachen.
Sie wollte nicht noch eine solche Wahrheit hören.
Mr Collins lächelte Elise mitfühlend an. „Haben Sie noch Zeit anzuhören, was ich zu sagen habe?“
Elise war perplex.
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