Julia Extra Band 372
einfach.
Er machte ihr Angst. Diese sorgenfreie Einstellung! Jeden Moment des Lebens zu genießen und sich keine Sorgen um den nächsten Tag zu machen. Aber das hatte er wohl nie tun müssen.
Er bremste aus vollem Lauf mit hartem Kratzen der Kufen vor ihr ab. „Was hat dieser Blick zu bedeuten?“, rief er ihr über die Barriere zu.
„Deine Mutter tut mir leid. Es muss die Hölle gewesen sein, dich mit Schlittschuhen an den Füßen zur Welt zu bringen.“
Er lachte laut auf.
„Ehrlich, du bist richtig gut.“
Ehrlich, er war hinreißend.
„Du bist auch nicht schlecht.“
„Haha!“
Der Himmel über dem winterlichen Edinburgh verdunkelte sich langsam. Der kalte Wind ließ Imogen erschauern. Sie ertappte sich bei dem Gedanken an ein heißes Bad und an noch heißere Körper.
„Ich sollte jetzt …“
„Ich begleite dich.“ Ob er wohl Gedanken lesen konnte? „Ich will nicht, dass du ausrutschst und dich wieder verletzt.“
„Vielen Dank“, erwiderte sie mit einem sarkastischen Unterton.
„Außerdem kann ich dann wenigstens noch ein bisschen deine Hand halten.“
„Aha!“
„Ein Mann muss nehmen, was er bekommen kann.“
„Meinst du?“
„Aber ja.“
Sie erschauerte. Ihr war heiß und kalt zugleich, und ihre Beherrschung war wieder einmal in Gefahr.
Am Fuß des Hügels zog er sie mit sich in ein Café.
„Ich kenne bessere Methoden, dich aufzuwärmen, aber ich fürchte, dies ist die einzige, die du mir heute gestatten wirst.“
Als Antwort bestellte sie einfach einen Kaffee.
Irgendwie war plötzlich eine weitere Stunde vergangen. Ryan hatte sie mit Scherzen und vergnüglichen Eishockeygeschichten unterhalten, und manchmal hatte sie so über seine charmanten Übertreibungen lachen müssen, dass ihr die Tränen über die Wangen liefen. Draußen war es inzwischen vollkommen dunkel. Im Fenster des Cafés spiegelten sich die Lichter von dem künstlichen Weihnachtsbaum in der Ecke. Als sie schließlich das letzte Stück zu ihrer Wohnung gingen, hielt Ryan nicht mehr ihre Hand. Imogen spürte, wie die Spannung zwischen ihnen stieg. Das Lachen hatte aufgehört. Und kurz vor dem Ziel fragte er: „Gehst du heute Abend mit mir aus?“
„Ryan, ich kann nicht.“
„Du meinst, du willst nicht? Du willst uns nicht einmal eine Chance geben?“
„Wir arbeiten zusammen, mehr nicht. Es gibt kein ‚uns‘. Wir hatten eine gemeinsame Nacht. Mehr nicht.“
„Selbst dann bist du nicht bis zum Morgen geblieben. Genau genommen schuldest du mir noch ein paar Stunden.“
„Ryan …“ Machte er Scherze? Konnte er denn nicht sehen, wie es um sie stand? Sie kam sich vor wie an einem weit geöffneten Fenster im zehnten Stock. Sie hatte Angst … vor sich selbst.
Sie hörte ihn aufseufzen. „Keine Angst, meine Liebe, ich werde sie ein andermal einfordern.“
Er wandte sich ab, und sie hörte ihn etwas in sich hineinmurmeln. Dann drehte er sich wieder zu ihr herum. „Verdammt, das aber nehme ich mir.“
Doch er nahm nicht, er gab. Seine Lippen waren warm und sanft. Unfähig, ihm zu widerstehen, erwiderte Imogen seinen Kuss. In seinen Berührungen lag ein süßes Versprechen.
Sie spürte ihre Abwehr erlahmen. Wie gern wollte sie ihm vertrauen, sich ihm hingeben, sich ihm mit Haut und Haaren ausliefern.
Doch mit großer Mühe widerstand sie der Verlockung. Statt in seine Arme zu sinken, grub sie die Fingernägel in ihre Handflächen, um den Rest ihres Verstandes zur Gegenwehr zu zwingen. Sie durfte nicht nachgeben. Nicht, seit sie wusste, welche Macht er über sie ausübte. Sie würde süchtig nach ihm werden … und allzu bald würde er aus ihrem Leben verschwinden. Gerade die süßesten Versprechungen wurden allzu oft gebrochen.
Langsam löste er sich von ihr. Sein Blick war ernster, als sie ihn je gesehen hatte. Das sonst übliche Lächeln war aus seinem Gesicht verschwunden. „Wer immer es war, er muss ein mieser Typ gewesen sein.“
Mit Schauern erinnerte sich Imogen. „Das war er.“
Ryan legte ihr sanft die Hand unter das Kinn, sodass sie ihm in die Augen sehen musste. „Ich bin nicht er“, versicherte er.
8. KAPITEL
Ryan hatte in seinem Leben schon viele bittere Erfahrungen in Training und Wettkampf gemacht, doch das alles war nichts im Vergleich zu dem Schmerz, den er auf dem Rückweg zu seinem Hotel empfand. Es fühlte sich an, als würden ihm mit jedem Schritt, den er sich von Imogen entfernte, kleine Stücke seines Herzens herausgerissen. Doch ihm blieb nichts anderes übrig,
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