Julia Extra Band 372
Rückgrat, als George je haben würde. Seine Vorwürfe waren berechtigt. Sie hatte sich kindisch benommen. Es wurde Zeit, dass sie erwachsen wurde und ihren Mut zusammennahm.
Am nächsten Tag ging sie später als gewöhnlich zur Arbeit. Sie hatte einige Zeit gebraucht, um sich darüber klar zu werden, wie sie die Dinge mit Ryan wieder in Ordnung bringen konnte. Sie war so verletzend gewesen! Das hatte er nicht verdient. Sie wünschte sich eine zweite Chance. Aber würde er sie ihr gewähren?
Sein Büro war dunkel und leer. Sie bemühte sich um Gelassenheit, doch sie war den ganzen Vormittag angespannt. Als er sich gegen Mittag immer noch nicht blicken ließ, hielt sie es nicht mehr aus.
„Shona, weißt du, wann Ryan kommt?“
„Ach, Kleines.“ Shona sah sie mitfühlend an. „Er ist über die Feiertage in die Staaten zu seiner Familie geflogen. Wusstest du das nicht?“
„Oh.“ Imogen fühlte sich wie in einem abstürzenden Flugzeug. „Natürlich.“ Ihr Magen war noch auf Reisehöhe, während ihr Körper dem Boden entgegenstürzte.
„Dabei fällt mir ein …“ Shona zog eine Schublade auf und nahm etwas heraus. „Er hat allen so einen zukommen lassen.“ Sie reichte Imogen einen Umschlag. „Eine Weihnachtskarte, nehme ich an. Wer weiß, vielleicht ist ja ein netter Bonus drin.“
Imogen wollte keinen Bonus. Sie wollte keine Karte. Sie wollte ihn.
Sie wartete, bis sich ihr Magen wieder beruhigt hatte. Dann öffnete sie den Umschlag. Als sie die Karte herausziehen wollte, flatterte ein rotes Herz auf ihren Schreibtisch. Es hing an einem goldfarbenen Bändchen. In seinem Inneren war eine kleinere Herzform ausgeschnitten, die ihrerseits an einem goldenen Faden hing. Ein Herz umschlossen von einem anderen. Auf eine Seite hatte er seinen Namen und die Jahreszahl geschrieben.
Er hatte sich große Mühe gegeben, aber es war unverkennbar herzerweichend selbstgemacht. Imogen konnte sich nicht erinnern, jemals etwas so Kostbares bekommen zu haben. Schon wieder drohte ihr Magen sich selbständig zu machen.
„Ich glaube nicht, dass jede so eins bekommen hat“, stellte Shona trocken fest. „Macht es dir etwas aus, wenn ich einen Moment an die frische Luft gehe?“ Imogen konnte und wollte jetzt nicht über ihn reden.
„Nein. Nimm dir so viel Zeit, wie du brauchst.“
Imogen stand so hastig auf, dass sie fast das Gleichgewicht verloren hätte. Sie musste hinaus!
„Er kommt ja im neuen Jahr wieder“, hörte sie Shona noch sagen. „Es sind doch nur ein paar Tage.“
Aber die kamen ihr wie eine Ewigkeit vor. Sie musste jetzt mit ihm reden, denn sie hatte sich noch dümmer angestellt als der Kaiser ohne Kleider. Sie hatte nicht gesehen, was direkt vor ihrer Nase lag … bis es verschwunden war.
Wie in Trance lief sie über die belebten Straßen. Sie spürte kaum den Schneematsch unter den Füßen und den eisigen Wind, der an ihrem Mantel zerrte. Sie lief und lief und wünschte sich sehnlichst, dass seine Geste mehr bedeutete als eine schlichte Weihnachtsdekoration.
Sie erreichte die Brücke, auf der sie sich zum ersten Mal geküsst hatten. Selbst jetzt noch brannte die Leidenschaft dieses Augenblicks in ihr. Damals hätte sie ihr Glück festhalten sollen. Warum hatte sie einen Idioten das Beste ruinieren lassen, das ihr je widerfahren war? Hatte George Bailey-Jones junior nicht schon genug Schaden angerichtet?
In der Hoffnung, sie würden von allein verschwinden, hatte sie ihre Gefühle verleugnet. Es hatte nicht funktioniert. Nun stand sie vor den Scherben ihres Glücks, ehe es noch hatte beginnen können.
Die ganze Zeit über hatte sie Ryans Geschenk in der Hand gehalten. Erst jetzt wurde sie sich dessen wieder bewusst. Die Karte steckte noch im Umschlag. Imogen blieb mitten auf der Brücke stehen und zog sie heraus. Es war ein kurzer, nichtssagender Weihnachtsgruß. Doch dann entdeckte sie unten am Rand eine Notiz, scheinbar in Eile hinzugefügt.
„Ruf an!“ Daneben stand eine Telefonnummer.
Sie holte ihr Telefon heraus und wählte die Nummer. Dann presste sie das Gerät ans Ohr, ehe sie womöglich noch einen Rückzieher machen konnte.
Es klingelte und klingelte und klingelte. Dann hörte sie endlich seine Stimme. „Hallo, ich bin …“
„Ryan, ich bin es, Imogen.“
Aber er sprach ungerührt weiter. „… zurzeit nicht in der Nähe des Telefons. Bitte hinterlassen Sie eine Nachricht. Ich rufe zurück, sobald ich kann.“
Sie holte tief Luft und wartete auf den Piepton … bis ihr klar
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