Julia Extra Band 373
schlimm es um seine Frau stand. Hatte gewusst, was die Schwangerschaft ihr abverlangte. Im sechsten Monat hatten sie von Hannahs Herzschwäche erfahren, vier Monate später war sie tot gewesen.
Auch in Hannahs Augen lag diese Traurigkeit, obwohl sie lächelte. Hatte sie geahnt, dass sie sterben musste? Hatte sie gewusst, wie wenig Zeit ihr mit ihren Töchtern bleiben würde? Oder bedrückte sie das Wissen, dass das Königreich einen männlichen Thronerben brauchte, um weiterzubestehen?
Ohne einen Sohn würde Alzan an das Nachbarreich Alzirz zurückgehen und unter die Regentschaft von König Rakhal gestellt werden.
Er hatte es gehasst, als Hannah bei der Geburt ihrer wunderbaren Töchter sich entschuldigt hatte, weil sie ihm keinen Sohn geboren hatte. Und mit hämmerndem Herzen erinnerte er sich jetzt auch an ihre letzten Worte: „Versprich mir, dass du das Beste für unsere Mädchen tun wirst.“
Doch wie?
Natasha, Rakhals Frau, würde jeden Tag niederkommen. In Alzirz herrschten andere Regeln als in Alzan. In Alzirz konnte eine Prinzessin Königin werden und das Land regieren. Wie hämisch Rakhal sich freuen würde, wenn sein Kind auf der Welt war, vor allem, falls es ein Junge werden sollte.
Bei dem Gedanken an seinen Rivalen verdüsterte sich Emirs Miene. Er nahm die beiden Edelsteine auf, die auf seinem Schreibtisch lagen, seltene pinkfarbene Saphire. Die Steine fühlten sich kühl an, doch sie brannten in seiner Hand. Rakhal war damals noch Prinz gewesen, als er die Steine als Geschenk geschickt hatte, um die Ankunft der Töchter zu feiern . Das Geschenk war an dem Morgen angekommen, als Hannah gestorben war.
Hannah hatte die Steine für Rubine gehalten und war in dem Glauben gestorben, die Rivalität zwischen den beiden Königreichen wäre endlich begraben. Emir hatte ihren Irrtum nicht berichtigt, hatte sie denken lassen, es wäre eine herzliche Geste von Rakhal. Doch er hatte die bösartige Botschaft verstanden – normalerweise waren Saphire blau.
Ohne einen männlichen Thronerben würde Alzan aufhören zu existieren.
Emir schleuderte die wertvollen Steine von sich. Er hörte sie gegen die Wand prallen und wünschte, sie würden zerbersten.
Er hasste Rakhal, doch noch mehr hasste er die Entscheidung, zu der er langsam gelang. Nicht nur hatte er Hannah auf dem Sterbebett ein Versprechen gegeben, sondern er hatte auch die Hand seines sterbenden Vaters gehalten und den Schwur abgelegt, das Beste für sein Land zu tun.
Zwei Versprechen, die er bisher nicht erfüllt hatte.
Sein Verhalten durfte nicht von Gefühlen geleitet werden.
Er nahm das Foto auf und betrachtete es lange, fuhr sacht mit dem Finger über Hannahs Gesicht, dann legte er es in die Schreibtischschublade und verschloss sie.
Irgendwie musste er die Gefühle verdrängen und sich auf die Zukunft konzentrieren, nicht nur für seine Kinder, sondern auch für das Land, das er regierte.
2. KAPITEL
Zum Schlafen war es viel zu heiß.
Der Ventilator an der Decke drehte sich träge in der Nachtluft, und die Tatsache, dass Amy weinte, seit sie die Babys zu Bett gebracht hatte, half auch nicht unbedingt. Ihre Augen brannten, ihre Wangen waren erhitzt. Sie stand auf und öffnete die Balkontüren in der Hoffnung, die Nachtbrise würde ihr Gesicht kühlen. Doch die Nächte in Alzan waren warm und brachten keine Erleichterung.
Ein fast voller Mond stand über der Wüste. Amy sah über den silbernen Sand. Dort drüben lag schon Alzirz. Dort seien die Nächte kalt, hatte man ihr gesagt. Wie viel lieber wäre sie jetzt dort, nicht nur wegen der kalten Nächte. In Alzirz konnte auch eine Prinzessin den Thron besteigen.
Dort wurden Mädchen nicht als wertlos angesehen.
Aber so stimmte das auch für Alzan nicht. In vieler Hinsicht war Alzan fortschrittlich. Es gab Universitäten für Frauen, und der König ließ eine Frauenklinik mit den neuesten medizinischen und technischen Errungenschaften errichten, die auf den Namen der verstorbenen Königin eingeweiht werden würde. König Emir brachte sein Land voran, und doch blieb die königliche Familie fest in den alten Traditionen verhaftet.
Vor langer Zeit waren die beiden Länder ein Reich gewesen – Alzanirz, wie man ihr erzählt hatte. Doch vor Generationen war dieses Reich geteilt worden und aus den Zwillingsländern wurden glühende Rivalen.
Bei offiziellen Anlässen hatte Amy bereits König Rakhal und seine Frau Natasha getroffen. Natasha war entwaffnend freundlich und erkundigte sich immer
Weitere Kostenlose Bücher