Julia Extra Band 376
zu delegieren.“ Er lächelte sie an. „So hat man immer jemanden, dem man die Schuld geben kann.“
Sein Lächeln war so hinreißend, dass Vanessa ihm am liebsten über die Wange gestreichelt hätte. „Sie sollten Ihr Lächeln öfter einsetzen.“
Er sah auf zu den Sternen. „Ich glaube, ich habe seit dem Tod meiner Mutter nicht mehr so viel gelächelt.“
„Tatsächlich?“
„Mit ihr ist auch ihre Lebensfreude gegangen. In ihrer Gegenwart war alles so leicht und interessant. Auch darin erinnern Sie mich wohl an sie.“
Das warme Gefühl, das seine Worte verursachten, wurde rasch von einem beunruhigenden Gedanken abgelöst. Fühlte sich Gabriel nur deswegen von ihr angezogen, weil sie ihn an seine verstorbene Frau erinnerte? Sah er in ihr eine Art Ersatz?
5. KAPITEL
Erinnere dich an das, was du zu Marcus gesagt hast, ermahnte sich Vanessa. Selbst wenn es nicht klappt, war es kein Fehler. Bei diesem Gedanken fühlte sie sich ein klein wenig besser.
„Ach, übrigens …“ Marcus zog ein Handy hervor. „Wie ist Ihre Nummer?“
Ihr Telefon hatte sie ganz vergessen. Sie diktierte ihm ihre Nummer. In der Tasche ihrer Shorts begann etwas zu vibrieren. „Was zum …“
Sie nestelte das Handy hervor, wie vor den Kopf geschlagen. „Aber ich habe doch gehört, wie es heruntergefallen ist.“
Marcus lachte. „Was auch immer es war, es war nicht Ihr Telefon.“
„Oh nein, das tut mir leid.“
„Macht doch nichts.“ Er stand auf und streckte ihr eine Hand entgegen. „Ich bringe Sie jetzt nach oben.“
Obwohl ihr die Geschichte peinlich war, hatten sie sich so angeregt unterhalten, dass sie noch gar nicht ins Bett wollte. Aber es war schon spät, und er hatte sicherlich Wichtigeres zu tun, als mit ihr seine Zeit zu vertrödeln. Schließlich hatte er ihr schon den größten Teil des Tages geopfert.
Sie griff nach seiner Hand, und er zog sie auf die Beine. Dabei rutschte ihr das Telefon tatsächlich aus den Fingern. Es landete im Gras. Sie wollten es beide aufheben, bückten sich und stießen mit den Köpfen zusammen.
„Au!“, riefen sie gleichzeitig aus.
Vanessa richtete sich auf und tastete nach der Stelle direkt über ihrem linken Auge. Na toll, morgen würde sie nicht nur einen Kater, sondern auch ein blaues Auge haben.
„Sie haben sich wehgetan.“ Marcus betrachtete sie besorgt.
„Nicht so schlimm. Das vergeht wieder.“
„Darf ich mal sehen?“ Vorsichtig drehte er ihren Kopf zum Licht und strich ihr das Haar zurück. Seine Fingerspitzen berührten sie ganz sanft.
Ihr schlug das Herz bis zum Hals. Marcus’ Gesicht war so nahe, dass sie seinen Atem auf ihrer Wange spürte. Vanessa konnte kaum dem Verlangen widerstehen, ihn zu berühren.
Ihr stockte der Atem, und sie sah zu ihm auf. Als ihre Blicke sich trafen, drohten ihr die Beine zu versagen.
Er wollte sie, daran gab es keinen Zweifel.
Du darfst nicht einmal daran denken!
„Haben Sie Schmerzen?“, fragte er. Es war ein raues Flüstern.
Sie hätte noch viel schlimmere Schmerzen auf sich genommen, wenn sie dann vor dem hätte fliehen können, was unausweichlich schien. Hilflos war sie ihren Gefühlen ausgeliefert. Nicht einmal der Gedanke an Gabriel half noch. Marcus sollte sie küssen, sie hob ihm das Gesicht entgegen, und als seine Lippen ihre berührten, da war es die pure Vollkommenheit.
Es war ein erster Kuss, wie sie ihn sich schöner nicht vorstellen konnte. Einfach unbeschreiblich. Alle romantischen Klischees schienen sich plötzlich zu verwirklichen. Und obwohl sie so empfand, wusste sie doch, dass kein zweiter Kuss folgen durfte. Dabei fühlte es sich so richtig an.
Sie konnte sich nicht von seinen Lippen lösen. Darum hielt sie die Arme noch immer um seinen Hals geschlungen, während ihre Finger mit seinem Haar spielten. Sie hätte ihn wohl immer weiter geküsst, wenn er nicht einen Schritt zurückgetreten wäre.
„Wie konnte ich das tun?“, stieß er hervor.
Bei seinen Worten schien es Vanessa, als würde ihre Schuld sie erdrücken.
Sie legte eine Hand auf ihre kribbelnden Lippen. Ihr Herz pochte noch immer wild, ihre Knie waren schwach.
Marcus wirkte ganz elend. Wahrscheinlich sehe ich nicht anders aus, dachte Vanessa. Sie hatte Gabriel hintergangen. Mit seinem eigenen Sohn. War sie wirklich so verkommen? Die Erkenntnis traf sie wie ein Schlag ins Gesicht.
„Es ist nicht Ihre Schuld. Ich habe es gewollt“, sagte sie.
„Warum?“ An seiner Miene erkannte sie, was er meinte. Er suchte nach einer Antwort,
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