Julia Festival Band 0103
eins nötig“, antwortete sie ruhig und sah sich um. Erst jetzt fiel ihr auf, dass der Wintergarten Rampen statt Stufen hatte – ja, dass sie in dem ganzen Gebäude bisher noch keine einzige Stufe gesehen hatte.
„Wo sind wir hier eigentlich?“, fragte sie.
„In einem Sanatorium, das von einem weitblickenden Mann vor zehn Jahren gegründet worden ist. Alles ist so eingerichtet, dass man sich als Rollstuhlfahrer im Haus und im Park ganz normal bewegen kann. Hier wird man nicht ständig durch äußere Hindernisse mit seiner Behinderung konfrontiert.“
„Oh.“ Amber war überrascht. „Und was hättest du getan, wenn ich, nachdem ich von Ursula die Adresse hatte, hier angerufen und mich nach dir erkundigt hätte?“
„Ich hatte an der Rezeption hinterlassen, dass man dir keine Auskunft über mich geben darf.“
Seine ungebrochene Selbstherrlichkeit reizte sie. „Immer noch der alte Finn! Selbst im Rollstuhl kannst du es nicht lassen, den Diktator zu spielen.“
Er seufzte erleichtert. „Du nimmst wirklich kein Blatt vor den Mund, Amber.“
Dies Wortgeplänkel erinnerte Amber an die unbeschwerte Zeit der ersten Liebe. „Warum sollte ich auch? Du kannst dich ja nicht wehren, selbst wenn du es wolltest.“
„Soll das eine Herausforderung sein, Baby?“, fragte er gedehnt und musterte sie aus halb geschlossenen Augen.
Amber bebte vor Erregung und genoss das Gefühl des Verlangens, von dem sie schon geglaubt hatte, es nie wieder spüren zu können. Dennoch kämpfte sie dagegen an. Finn mochte im Rollstuhl sitzen, trotzdem war und blieb er der Mann, der sie betrogen, zurückgewiesen und ihr jenen kaltherzigen Brief geschrieben hatte.
„Nein, wie käme ich denn dazu, dich herauszufordern“, entgegnete sie kühl. „Wo ist Birgitta?“
Er lächelte. „Ich weiß es nicht. Glaubst du mir das?“
„Nein. Du musst es wissen.“
Er zeigt nicht die geringste Spur von Schuldbewusstsein, dachte Amber ärgerlich, ganz im Gegenteil, er lächelt äußerst selbstzufrieden.
„Wahrscheinlich frühstückt sie gerade“, bemerkte er schließlich.
„Mittags um zwei? Dass ich nicht lache!“
„In den Staaten, und dort hält sie sich auf, ist es nicht Mittag.“
„Was macht sie da?“ Amber sah Finn prüfend an.
„Sie begleitet Karolina zu ihren Fototerminen.“
„Und du bist nicht mit, weil Birgitta sich mit einem Behinderten schämt?“
Wut und Verzweiflung malten sich auf seinem Gesicht. „Maß dir bitte kein Urteil darüber an, wie Birgitta auf meine Behinderung reagiert!“
Dann jedoch entspannten sich seine Züge wieder. „Dass ich nicht bei ihr bin, hat den ganz einfachen Grund, dass ihr Mann es bestimmt nicht dulden würde – die beiden sind nämlich wieder zusammen.“
„So?“ Misstrauisch sah Amber ihn an.
Er wich ihrem Blick nicht aus. „Es ist die Wahrheit, Amber.“
„Und was hat er dazu gesagt, dass du seine Frau auf der Silvesterfeier vor aller Augen leidenschaftlich umarmt und geküsst hast?“
„Das war wirklich nicht sehr geschickt von mir, das muss ich zugeben.“
„Nicht sehr geschickt ? Was hat dich denn zu dieser tiefschürfenden Erkenntnis gebracht?“
„Ich glaube, ich schulde dir eine Erklärung, Amber.“
„Eine? Mindestens ein halbes Dutzend!“
Er kniff die Augen zusammen. „Du siehst abgespannt und müde aus.“
„Was du nicht sagst! Überrascht dich das?“ Sie überlegte kurz und entschloss sich, egal, was auch geschehen war und noch geschehen würde, niemals Zugeständnisse zu machen, nur weil er behindert war. „Du dagegen siehst aus wie das blühende Leben“, sagte sie ihm ins Gesicht.
„Vielen Dank für das Kompliment.“ Er lächelte breit.
„Habe ich etwas Komisches gesagt?“, wollte sie wissen.
Finn schüttelte den Kopf. „Nein. Aber den meisten Menschen verbietet es sich von selbst, einen Mann wie mich als ‚blühendes Leben‘ zu bezeichnen.“
Er betrachtete sie wieder und runzelte angestrengt die Stirn. Amber kannte diese Angewohnheit, die ihr sagte, dass Finn Schwierigkeiten hatte, sich zu konzentrieren – oder dass er sie begehrte …
„Lass uns zum Fenster gehen“, bat er.
Amber stimmte zu, obwohl sie sich in ihrem Sessel sehr wohlfühlte. Aber wenn Finn das Bedürfnis hatte, sich zu bewegen, wollte sie nicht widersprechen.
Zum ersten Mal beobachtete sie, wie er seinen Rollstuhl in Gang setzte. Sie hatte erwartet, dass der Anblick sie schockieren oder ihr Mitleid erregen würde, aber das war nicht der Fall. Sie fühlte
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