Julia Festival Band 0105
zum Herrenhaus zurückzukehren. Baz mochte kein Regenwetter, und sie selbst war auch nicht auf Regen eingestellt. Aber sie liebte den täglichen zweistündigen Ausritt auf ihrem treuen Freund. Auf seinem Rücken konnte sie ihr anstrengendes Leben als Lady Tempest vergessen. Andererseits gab ihr das Alleinsein auch Gelegenheit, über Probleme nachzudenken, die einfach unlösbar erschienen.
Ihr Zusammenleben mit Nick schien aus zwei Hälften zu bestehen, die sich nicht zusammenfügen ließen.
Tagsüber wurde sie von Frank und Margaret mit viel Einfühlungsvermögen in die reibungslose Führung eines herrschaftlichen Haushalts eingewiesen. Im Garten pflückte sie Blumen und arrangierte sie in Vasen. Sie empfing Besucher zum Tee. Zu einigen Gästen baute sie ein freundschaftliches Verhältnis auf, andere waren nur neugierig, Sir Nicholas’ abtrünnige, wieder heimgekehrte Braut kennenzulernen. Darüber hinaus kümmerte Cally sich um den Schriftverkehr. Dabei wurde sie von Janette unterstützt, einer ehemaligen Sekretärin im Londoner Bankenviertel, die sich jetzt mit ihrem Mann und Kleinkindern aufs Land zurückgezogen hatte.
Einige Clubs und Vereine hatten sie eingeladen, Mitglied zu werden, und Cally wurde in den Vorstand der Stiftung gewählt, die jedes Jahr ein Fest zugunsten wohltätiger Zwecke auf dem Landsitz veranstaltete.
Nick sagte ihr, wen sie zum Lunch und zum Abendessen einladen sollte. Manchmal hatten sie auch Gäste, die das Wochenende auf Wylstone Hall verbrachten. Cally war selbst überrascht, wie erfolgreich sie als Gastgeberin war.
Leider bewohnte Adele noch immer das Witwenhaus. Für Callys Geschmack fand die Witwe viel zu oft einen Grund, im Herrenhaus aufzutauchen und Cally zu ärgern.
„Du siehst müde aus, Herzchen“, hatte Adele beispielsweise am Tag zuvor bemerkt, als sie Cally im Garten abgefangen hatte. „Aber keine Sorge, ich habe gehört, dass Vanessa Layton diese Woche zurückkommt. Nick wird also bald ein zweites Ventil für seine unglaubliche Manneskraft haben.“
Cally hatte ihr nur sprachlos nachgesehen. Am liebsten hätte sie ihr den Hals umgedreht.
Wenigstens bin ich gewarnt, dachte sie. Allerdings war ihr klar, dass sie sich mit der Situation abfinden musste, denn Nick hatte während der vergangenen Wochen oft genug demonstriert, dass er sein eigener Herr war, der tat, was er wollte.
Adele ist noch meine geringste Sorge, dachte Cally. Die Beziehung zu Nick war das Problem und überschattete alles andere. Ständig beschäftigte sie sich damit, und es raubte ihr den Schlaf.
Die scharfen Worte, die vor einigen Wochen gefallen waren, waren ihre letzte Unterhaltung gewesen. Wenn Nick zu Hause weilte, trafen sie sich zu den Mahlzeiten, die zumeist schweigend verliefen, wenn man von wenigen höflichen Bemerkungen absah. Und die wurden auch nur geäußert, um vor dem Personal den Schein zu wahren. Allerdings war Cally sich fast sicher, dass den Thurstons die Spannungen zwischen den Herrschaften nicht verborgen geblieben waren.
Jeden Tag ritt Nick frühmorgens auf Maestro, seinem kastanienbraunen Wallach aus. Auf die Idee, Cally zu einem gemeinsamen Ausritt zu bitten, kam er offensichtlich nicht. Im Gegenteil, er mied sogar die Wege, auf denen sie Baz bewegte.
„Das ist auch besser so“, hatte Lorna ihr fröhlich versichert, als Cally das Thema einmal vorsichtig angeschnitten hatte. „Er reitet fantastisch und bringt Maestro oft an seine Grenzen.“ Sie lachte. „Auf einem jungen Pferd kann ich kaum mit ihm mithalten, der arme, alte Baz würde schon auf den ersten Metern abgehängt werden, obwohl er vermutlich versuchen würde mitzugehen. Aber das wäre seiner Gesundheit abträglich.“
„Stimmt. Daran hatte ich gar nicht gedacht.“ Cally hatte sich ein Lächeln abgerungen.
Nach dem morgendlichen Ausritt fuhr Nick meistens mit dem Auto zur Arbeit. Manchmal blieb er aber auch zu Hause und beschäftigte sich in seinem Arbeitszimmer, wo er nicht gestört werden durfte.
Er behandelt mich wie eine seiner Angestellten, dachte Cally. Ursprünglich hatte sie das sogar befürwortet, doch mittlerweile verletzte sie sein kühles Verhalten.
Auch wenn sie ihn nach London begleitete, um bei offiziellen Abendessen oder anderen gesellschaftlichen Ereignissen an seiner Seite zu repräsentieren, lief alles nach dem gleichen Muster ab. Nick hatte das letzte Wort, wenn es um ihre Garderobe ging, die inzwischen beträchtliche Ausmaße erreicht hatte. Außerdem verfügte Cally
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