Julia Festival Band 05
ihr verlockender Kaffeeduft in die Nase stieg. Das Feuer knisterte noch im Kamin und strahlte Wärme und Licht aus. Weder Banner noch Bobby Ray waren im Wohnzimmer.
Es gefiel ihr nicht, in einer fremden Umgebung aufzuwachen. Sie fühlte sich schmuddelig, unordentlich und desorientiert. Ihr Haar war zerzaust, ihr Gesicht ebenso zerknittert wie ihre Kleidung. Sie schnappte sich ihren Rucksack und eilte ins Badezimmer, um sich ein wenig herzurichten, bevor sie Banner begegnete – und natürlich den anderen.
Zum Glück gab es einen Gasboiler, sodass ausreichend warmes Wasser vorhanden war. Sie beeilte sich trotzdem, aus Rücksicht auf die anderen Leute im Haus. Kaum eine Viertelstunde später war sie fertig mit der Morgentoilette und fühlte sich wesentlich wohler mit frisch gewaschenen Haaren, geputzten Zähnen, einem Minimum an Make-up und in sauberer Wäsche.
Als sie auf den Flur trat, stolperte sie beinahe über Hulk, der vor der Badezimmertür saß und offensichtlich auf sie wartete. „Willst du als Nächster duschen?“, fragte sie ihn im Scherz.
Er grinste sie dümmlich an, wedelte mit dem dürren Schwanz und folgte ihr ins Wohnzimmer. Jemand hatte die Gardinen aufgezogen. Draußen war es immer noch grau und bewölkt, aber zumindest fiel etwas Tageslicht durch die großen Fenster.
Lucy blickte hinaus in die Landschaft. So weit das Auge reichte, war alles von dickem Eis bedeckt, das wie frisch poliertes Glas glitzerte. Unter fast jedem Baum lagen abgebrochene Zweige, und die Nadelbäume bogen sich unter ihrer schweren Last. Alles sah aus, wie man sich ein Wintermärchen vorstellte.
Heiligabend, sinnierte Lucy. Draußen wirkte es weihnachtlich, aber getrennt von ihrer Familie kam es ihr nicht so vor. Seufzend wandte sie sich ab und ging in die Küche.
Pop und Miss Annie saßen am Tisch. Beide sahen wesentlich ausgeruhter aus als am Vorabend. Bobby Ray schenkte ihnen Kaffee ein, während Banner am Herd stand und fachmännisch Pfannkuchen in einer gusseisernen Pfanne wendete. Joan und die Kinder waren noch nicht aufgetaucht.
Bobby Ray und die Carters lächelten, als Lucy eintrat, nicht aber Banner, der ihr nur flüchtig zunickte und „Pfannkuchen?“, fragte.
„Ja, bitte.“
Er reichte ihr einen vollen Teller. „Sirup steht auf dem Tisch.“
„Danke.“
Mit der Höflichkeit war es also auch heute Morgen nicht weit her. Nun, sie hatte geahnt, dass ein Wiedersehen bei Tageslicht in all seiner missmutigen Pracht ihr die nächtlichen, törichten Fantasien austreiben würde.
„Eine unruhige Nacht, oder?“, fragte Bobby Ray, während er ihr eine Tasse Kaffee hinstellte.
„Das kann man wohl sagen“, erwiderte sie mit einem schiefen Lächeln, da sein endloses Schnarchen zum Teil für ihre schlaflose Nacht verantwortlich war. „Miss Annie, haben Sie gut geschlafen?“
„Wie ein Murmeltier. Ich war wohl erschöpfter, als ich dachte. Ich habe nicht mal gemerkt, dass der Strom ausgefallen ist, bis ich heute Morgen aufgewacht bin.“
Bobby Ray ging zur Hintertür und blickte durch die Glasscheibe hinaus auf die Eislandschaft. „Ich habe nicht mehr so viel Eis gesehen seit dem Winter 1999. Damals waren manche Haushalte sogar wochenlang ohne Strom.“
„Funktioniert das Telefon noch?“, fragte Lucy.
Er nickte. „Ich habe heute Morgen schon meinen Boss angerufen.“
„Wissen Sie was Neues über die Straßenverhältnisse?“
„Heute sollen die Temperaturen auf etwas über null ansteigen. Am Nachmittag könnte es etwas schmelzen, aber über Nacht soll es wieder frieren. Die Straßen werden frühestens morgen Nachmittag wieder befahrbar sein.“
Sehnsüchtig dachte Lucy an Weihnachten bei ihrer Tante – an die unzähligen Freunde und Verwandten, das gute Essen und Trinken, die Weihnachtslieder und die fröhliche Stimmung. Es war das erste Mal seit ihrer Kindheit, dass sie das Fest verpasste.
Sicherlich sehnten sich die anderen ebenso danach, bei ihren Angehörigen zu sein – alle außer Banner.
„Vielleicht, wenn wir ganz langsam und vorsichtig fahren …“, setzte Pop an, als er Miss Annies enttäuschte Miene sah.
„Denken Sie nicht mal daran“, sagte Bobby Ray entschieden. „Ich befahre diese Straße schon jahrelang, und sie ist gefährlich genug, wenn sie nur nass ist. Wenn dazu noch vereiste Stellen kommen, wird das Fahren selbstmörderisch. Sie haben gesehen, wie ich im Straßengraben gelandet bin. Ist mir seit Jahren nicht mehr passiert.“
Pop widersprach nicht. Er nickte nur
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