JULIA FESTIVAL Band 76
und somit ist es keine Überraschung, dich hier zu sehen.“
David Steele, sieben Jahre jünger als sein Bruder, war seit seiner Geburt nach Strich und Faden verwöhnt worden. Er hatte keine Ahnung, was es hieß, etwas von Grund auf aufzubauen, hart zu arbeiten und stolz auf das Erreichte zu sein. Stattdessen war er gewohnt, dass ihm alles in den Schoß fiel, und sehr zu Jonathans Ärger war das bisher immer der Fall gewesen. Doch jetzt stand eine wichtige Entscheidung an.
„Darling, bitte entschuldige mich“, sagte David zu seiner Frau und küsste ihre Wange. „Ich bin gleich zurück.“
Lisa Steele bedachte ihren Schwager mit einem kühlen Lächeln. „Halte ihn nicht zu lange auf, Jonathan. Ohne ihn bin ich verloren.“
„Es wird nicht lange dauern“, versprach Jonathan. Er nahm Davids Arm und führte ihn quer durch den Ballsaal zu einer Nische, wo sie ungestört sprechen konnten. Beide Männer waren über einsfünfundachtzig groß und äußerst attraktiv.
„Es geht um Hank, unseren Buchhalter“, sagte Jonathan ohne Umschweife. „Ich habe Beweise dafür, dass er das Geld in der Firma unterschlagen hat. Er hat unter vier Augen alles zugegeben und mich angefleht, ihm noch eine Chance zu geben. Was er nicht weiß, ist, dass ich Nachforschungen über ihn angestellt habe. Offenbar leidet er an Spielsucht und hat sich mit ein paar ganz üblen Typen eingelassen, die nun seine Schulden eintreiben wollen und dabei alles andere als zimperlich sind.“
David lächelte gelangweilt. „Wundervoll. Dann ist die Sache ja damit erledigt. Was willst du noch von mir?“
Jonathan seufzte. Sein Bruder machte es sich wie immer einfach. „Ich habe noch keine Strafanzeige erstattet, denn wenn die Medien davon Wind bekommen, werden sie Steele Enterprises mit diesen zwielichtigen Gaunern in Verbindung bringen. Das könnte unserem Ansehen außerordentlich schaden. Darüber wollte ich vorher mit dir sprechen.“
David zog die dunklen Augenbrauen hoch. „Jonathan, mein Lieber, ich habe volles Vertrauen zu dir. Du wirst schon alles richtig regeln.“ Er winkte einen Kellner zu sich und nahm ein Glas Champagner. „Wenn du mich nun entschuldigst …“ Und damit war er verschwunden.
Ärger stieg in Jonathan hoch. Sein Bruder gab sich wirklich nicht die geringste Mühe, ihn in irgendeiner Weise zu unterstützen. Der Tiefpunkt ihrer Beziehung war erreicht, als ihr Vater David den Familienbesitz vererbt hatte, obwohl er genau wusste, dass er Jonathan am Herzen lag. Der alte Steele hatte noch vom Grab aus ein Zeichen gesetzt. Und David schlug in die gleiche Kerbe, als er Jonathan Haus und Grund für viel Geld anbot. Jonathan wusste, dass dies nicht nur aus Taktlosigkeit geschah, sondern auch deshalb, weil David seinen aufwendigen Lebensstil nicht durch Arbeit finanzieren wollte.
Der Familiensitz war Jonathans einzige Verbindung zu seiner Kindheit. Er hätte David auch einen höheren Preis bezahlt, nur, um das Haus zu bekommen.
Jonathan blickte seinem Bruder grimmig nach. Seit dreißig Jahren war David der Liebling der Familie, und Jonathan konnte nicht verstehen, warum das so war. David hatte alle Chancen und Möglichkeiten bekommen und sie alle verspielt. Er nahm sich einfach, was er wollte, und wenn er es satt hatte, warf er es weg.
Jonathan hatte immer versucht, seinen Bruder zu verstehen, genauso wie er versucht hatte, die Liebe seines Vaters zu gewinnen. Doch dem war sein Ältester vollkommen gleichgültig gewesen, und als Jonathan einen kränkelnden Geschäftsbereich von Steele Enterprises übernahm und zu einem erfolgreichen Milliardengeschäft ausbaute, nahm er das nicht einmal richtig zur Kenntnis.
Schon vor Jahren hatte Jonathan die Erfahrung gemacht, dass die Institution Familie ein Werk des Teufels war: Seine Mutter hatte ihn und seinen Vater ohne mit der Wimper zu zucken verlassen, als Jonathan fünf Jahre alt war. Sein verletzter Vater hatte ihm die Schuld daran gegeben und das zeitlebens durchblicken lassen. Innerhalb von ein paar Stunden hatte Jonathan so beide Eltern für immer verloren.
Resigniert trat Jonathan aus der Nische. Das fröhliche Lachen und die angeregten Gespräche der Gäste im Saal hallten in seinem Kopf wider. Er nahm sich vor, nach Haus zu gehen.
Als er sich umdrehte, prallte er in eine aquamarinblaue Wolke aus Seide und Tüll. Eine junge Frau trat einen Schritt zurück und lächelte ihn an.
„Nein, so etwas. Jetzt habe ich mir den ganzen Weg hierher überlegt, was ich zu Ihnen sagen
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