JULIA FESTIVAL Band 76
Ich habe es geerbt, als Mr. Peters nach Pittsburgh ging. Ich bin jetzt seit etwa zwei Jahren die Buchhalterin.“
„Ist Wilson noch der Controller?“
„Natürlich.“
Sie goss Kaffee ein und reichte ihm den Becher. „Du nimmst doch weder Milch noch Zucker, oder?“
„Nein. Ich trinke ihn schwarz.“
Sie setzte sich an den Schreibtisch und zeigte auf den Stuhl davor. „Wie war der Flug?“, fragte sie höflich.
Er setzte sich. „Ereignislos.“ Ihr Parfüm duftete elegant, fast ein wenig verführerisch. Er war nicht sicher, ob er es mochte.
„Es ist lange her“, sagte sie leise.
„Ja. Dein Haar ist anders.“
Sie tastete nach den schulterlangen Locken. Sie waren nicht mehr hellblond, sondern schimmerten wie Gold. „Es ist dunkler geworden.“ Sie lächelte zaghaft und nippte an ihrem Kaffee. War sie so nervös wie er?
Die Vergangenheit stand zwischen ihnen. Die Lüge. Aber sie unterhielten sich über belanglose Dinge und taten, als könnten sie sie einfach ignorieren. Er wollte sie fragen, warum sie damals gelogen hatte. Aber dann würde sie glauben, dass sie ihm noch etwas bedeutete.
Er betrachtete sie und erinnerte sich daran, wie sie damals ausgesehen hatte. Er suchte in seinem Herzen und seiner Seele nach den Narben. Sie waren verheilt.
Er empfand nichts mehr für Jenny.
„Wie geht es meinem Vater?“, fragte er schließlich.
Ihr Blick wurde mitfühlend. Sie beugte sich vor und faltete die Hände. „Nicht gut. Der erste Herzinfarkt war vor vier Tagen. Es war Wochenende, also habe ich erst später davon erfahren. Dann habe ich dir sofort das Telegramm geschickt.“
„Es ist von dir?“
„Ja.“
„Dein Name stand nicht darauf.“
„Ich weiß. Ich hatte Angst, dass du nicht kommen würdest, wenn du gewusst hättest, dass ich noch hier bin.“
Dazu sagte er nichts. Es war zu leicht, sich in der gemeinsamen Vergangenheit zu verlieren. „Sein erster Herzinfarkt? Heißt das, er hatte einen zweiten?“
„Gestern. Einen viel schlimmeren. Es tut mir leid, Chase. Die Ärzte … Du solltest mit ihnen sprechen.“
„Findet die Visite morgens statt?“, fragte er.
„Es gibt feste Besuchszeiten. Ich habe gerade im Krankenhaus angerufen. Du kannst deinen Vater in einer Stunde besuchen.“
„Ich habe den ersten Flug genommen, den ich kriegen konnte.“ Er hatte seinen Vater seit elf Jahren nicht mehr gesehen. Zweimal im Jahr hatte er eine Postkarte geschickt, damit man in Harrisville wusste, dass er noch lebte. Eine Antwort hatte er nie bekommen.
„Niemand zweifelt an deiner Loyalität.“
„Vielleicht tue ich es“, erwiderte er. „Meinst du, ich kann heute Abend noch mit einem Arzt sprechen?“
„Wenn nicht, wende dich an eine Krankenschwester. Sie sind alle sehr hilfsbereit.“
„Liegt er im Harrisville General?“
„Auf der Herzstation.“
„Wie lange wird es dauern, bis er außer Lebensgefahr ist?“
„Man hat uns gesagt, dass es zwei kritische Phasen gibt. Nach drei und nach zehn Tagen. Wenn er die Woche überlebt, hat er eine gute Chance.“
„Aber die Ärzte rechnen nicht damit?“
„Ich bin nicht sicher.“ Sie senkte den Kopf, und das weiche Haar fiel ihr wie ein Vorhang vor das Gesicht. „Ich wünschte, ich könnte dir etwas Erfreulicheres sagen.“
Er hatte vor seinem Abflug aus Phoenix mit einem dortigen Arzt gesprochen und geahnt, wie kritisch es um seinen Vater stand.
Chase stand auf und ging ans Fenster. In der Scheibe sah er sein Gesicht und auch, wie Jenny ihn betrachtete. Sie biss sich auf die Unterlippe. Was dachte sie? Früher war es eine Geste der Besorgnis gewesen und hätte bedeuten können, dass sie sich auf einen Mathematiktest nicht gut genug vorbereitet hatte. Aber jetzt? Sie war erwachsen. Log sie noch immer? Vielleicht nur etwas raffinierter als damals?
„Ich habe ihn besucht“, sagte sie.
„Und?“
„Sie haben ihm starke Beruhigungsmittel gegeben. Vielleicht hat er gar nicht gemerkt, dass ich da war.“
„Ich habe vor vier Jahren aufgehört, ihm böse zu sein. Als mir klar wurde, dass es zu nichts führt. Ich wollte ihn schon früher besuchen.“ Er packte den Fensterrahmen. „Ich hätte nicht gedacht, dass ich zu spät komme.“
„Es ist nicht zu spät.“ Sie stand auf und ging zu ihm. „Die Ärzte sind hoffnungsvoll.“
„Es klingt nicht hoffnungsvoll.“
„Es tut mir leid.“ Sie sah zu Boden. „Ärzte wissen nicht alles.“
Sie legte eine Hand auf seinen Arm. Die kurze, fast unpersönliche Berührung drang
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