Julia Festival Band 86
geheiratet hat, obwohl er genau wusste, dass er schwul war. In der Hoffnung, dass er durch eine Ehefrau wieder normal würde …“
Annie verschluckte sich fast an ihrem Tee. „Du liebe Güte“, rief sie aus. „Was für ein trauriger Chauvinist voller Vorurteile du doch bist, Chase Cooper! Was heißt schon normal? Aber trotzdem, nein, Nicholas ist nicht, wie du es auszudrücken beliebst, schwul.“
„Bist du dir ganz sicher?“
„Ja.“
„Na ja, kann ja nicht schaden, wenn man mal nachfragt.“
„Nick und Dawn haben die letzten drei Monate schon zusammen gewohnt. Und Dawn hat nicht einmal angedeutet, dass es bei ihnen im Bett Schwierigkeiten gibt. Im Gegenteil.“ Annie errötete leicht. „Ich bin ein paarmal unangemeldet bei ihnen vorbeigekommen – zu üblichen Zeiten wohlgemerkt … Und daraus, wie lange es dauerte, bis sie an die Tür kamen, und wie sie aussahen, war unschwer zu erkennen, dass in dem Bereich alles vollkommen in Ordnung ist.“ Sie senkte den Blick auf ihren Tee. „Jetzt komme ich nicht mehr vorbei, ohne vorher angerufen zu haben.“
„Was soll das heißen, die beiden haben zusammen gewohnt?“ „Genau das, was ich sage. Hat Dawn dir das nicht erzählt? Sie haben sich ein Apartment in Cannondale genommen.“
„Zum Teufel, Annie, wie konntest du das zulassen?“
„Was? Dass sie mit dem Mann zusammengezogen ist, den sie heiraten wollte? Sie ist achtzehn, Chase, das heißt volljährig. Alt genug, um ihre eigenen Entscheidungen zu treffen.“
„Trotzdem.“
„Was trotzdem?“
„Du hättest ihr sagen können, dass es falsch ist.“
„Liebe ist nie falsch.“
„Liebe“, meinte Chase kopfschüttelnd. „Sex, das trifft’s wohl eher.“
Annie seufzte. „Sex, Liebe … Das gehört doch zusammen. Denk dran, wie es bei uns gewesen ist.“
Chase sah scharf hoch. „Was wir getan haben oder nicht, hat mit dieser Situation hier nichts zu tun.“
„Da irrst du dich gewaltig.“ Annie stand auf, wärmte die Hände an ihrem Becher, knipste das Licht aus und trat an das Bogenfenster, von dem aus man den Garten überblicken konnte. „Ich fürchte, wir haben sogar eine Menge damit zu tun.“
„Was soll das heißen?“
Annie ließ sich auf dem Fenstersims nieder, den Blick nach draußen in die Dunkelheit gerichtet. „Du willst wissen, was sie gesagt hat? Also gut, aber es wird dir nicht gefallen.“
„Mir hat von dem, was heute geschehen ist, sowieso das meiste nicht gefallen“, sagte Chase und kam zu ihr. „Warum sollte es jetzt anders sein?“
„Nun, sie sagt, sie liebt Nick. Und sie weiß, dass er sie liebt. Doch genau das ist auch der Grund, weshalb sie ihn verlassen hat.“
„Wie bitte? Das ist doch völlig absurd.“ Chase sah verständnislos drein.
„Sie hat Angst.“
„Angst? Wovor?“
„Davor, dass die beiden sich wieder entlieben könnten. Sie hat Angst vor dem, was geschehen wird.“
Chase nahm neben Annie Platz. „Was wird denn geschehen?“
Annie hob die Schultern. „Ihre Liebe wird verdorren und absterben.“
„Das ist doch albern.“
„Dasselbe habe ich auch gesagt.“
„Und?“
„Und sie hat gesagt …“ Annie musste schlucken. „Sie hat gesagt, dass sie uns heute während der Feier beobachtet hat. Sie hat gesagt, dass es sie zutiefst verletzt hat, zu sehen, wie sehr wir es verabscheut haben, dass man uns gezwungen hat, miteinander zu tanzen.“
„Na klar. Niemand hat uns vorgewarnt. Aber wir haben’s doch geschafft.“
„Sicher, das habe ich ihr auch gesagt.“
„Und dann?“
„Dann meinte sie, es sei traurig gewesen, dass wir … so tun mussten, als ob wir gerne miteinander tanzten.“ Sie holte tief Luft. „Und ich habe ihr gesagt, dass sie sich darüber keine Gedanken zu machen braucht. Aber das war es wohl, was den Anstoß gegeben hat.“
„Was? Ich begreife überhaupt nichts.“
Annie stellte den Becher aufs Fensterbrett und verschränkte die Hände in ihrem Schoß. „Dawn sagte, als sie am Flughafen stand und darauf wartete, bis Nick das Gepäck aufgegeben und ihren Flug bestätigt hatte, da hat es sie plötzlich mit voller Wucht getroffen, wie furchtbar traurig es ist, dass du und ich, dass wir uns irgendwann einmal sehr geliebt haben müssen.“
„Wäre es ihr lieber gewesen, wenn wir das nicht getan hätten?“, brummte Chase.
„Sie meint, wenn ihr Vater und ihre Mutter von diesem Gefühl zu dem gekommen sind, was wir jetzt füreinander empfinden, dann will sie mit dieser ganzen Sache nichts zu tun haben,
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