Julia Festival Band 86
irgendeiner Hotellobby zusammenzurollen, während du mein Bett mit Beschlag belegst, ist das Letzte, wozu ich Lust habe.“
„Wie galant. Aber …“
Eine schwarze Limousine glitt vor ihnen an den Randstein. Der Fahrer stieg aus, salutierte perfekt und öffnete ihnen die Tür zum Rücksitz.
„Was aber?“, zischte Chase ihr ins Ohr. „Steig einfach in den Wagen, Annie. Jetzt können wir einander auch noch ein Weilchen länger aushalten. So verlockend der Gedanke ja auch ist, dich hier am Flughafen zu lassen, bringe ich es nicht übers Herz.“
Die Vorstellung, sich endlose Stunden am Flughafen aufzuhalten, sagte Annie ebenso wenig zu.
„Also gut“, zischte sie zurück. „Aber hoff lieber, dass diese Suite die Größe eines Footballstadions hat. Sonst könnte es sein, dass du dich trotzdem in der Lobby wiederfindest!“
Es war nicht von der Größe eines Stadions, wenngleich es einem solchen von den Ausmaßen her durchaus nahe kam.
Doch um eine Suite handelte es sich keineswegs. Entsetzt ließ Annie eine Stunde später die Blicke um sich schweifen. Und es war kein Hotel.
In der Limousine waren sie zu einem der Hochhäuser in der Innenstadt von Seattle gefahren worden, und von da aus zu einem Pier, wo sie in ein Motorboot umgestiegen waren.
„Chase“, hatte Annie ihm über das Dröhnen des Motors zugerufen. „Wohin fahren wir?“
Chase sah den Steuermann an. „Sagen Sie nicht, dass Sie uns zu der Insel bringen.“
Der Steuermann grinste. „Aber sicher.“
Chase stöhnte: „Oh, verdammt“, und Annie beobachtete, wie er die Reling umklammerte und auf das aufgewühlte Wasser hinausschaute.
Die dünnen Nebelschwaden, die auf der Fahrt vom Bug des Bootes zerteilt worden waren, lösten sich auf, als sie sich ihrem Bestimmungsort näherten.
Annie erspähte eine kleine Insel mit hoch aufragenden grünen Bäumen auf einem Hang, der sanft zu einem steinigen Ufer hin abfiel. Weit oben, wie ein Adlerhorst zwischen den Bäumen, sah man ein Haus. Es war ein großartiger Anblick, eine Skulptur aus rotem Zedernholz und Glas, ein herrlicher, einsam gelegener Wohnsitz mit einem eindrucksvollen Blick auf den Sund.
Holzstufen führten die schroffen Klippen empor, und Annie versuchte sich davon zu überzeugen, dass sie, wenn sie erst einmal oben angekommen waren, dort mehr als nur dieses eine Haus vorfinden würden. Mehrere Gebäude, ein Hotel, ein Erholungszentrum …
Aber da war nur das Haus, sonst nichts. Chase schloss auf, und Annie blieb nichts weiter übrig, als ihm zu folgen.
Die Räume waren phantastisch. Es gab eine Küche, weiß, glänzend und makellos sauber; ein Badezimmer mit tiefem Whirlpool und einer Duschkabine, die an eine Glaswand gebaut war, sodass es wirkte, als sei sie zum Wald hin offen. Als Annie das Wohnzimmer betrat, brach plötzlich die Sonne durch, deren Licht sich durch das riesige Oberlicht in den Raum ergoss, sodass die weißen Wände und das helle Hartholz-Parkett wie in Gold getaucht zu sein schienen.
Mr. Tanakas Herkunft zeigte sich in der eleganten und doch schlichten Linienführung des Raumes: den geflochtenen Tatami-Matten auf dem Boden, der schönen Shoji-Trennwand, die als Hintergrund für einen niedrigen schwarzen Lacktisch und die dicken, schwarzweißen Sitzkissen diente, die vor einem grob gehauenen Kamin verstreut lagen. Gläserne Schiebetüren, flankiert von hohen weißen Vasen, in denen verschiedenfarbige Weidenzweige steckten, führten hinaus auf eine Terrasse.
Vor allem jedoch war es das Schlafzimmer, das Annie die Sprache verschlug. Das Wohnzimmer zeugte von japanischer Einfachheit und Gelassenheit. Was allerdings seinen Schlafbereich betraf, da besaß Mr. Tanaka einen entschieden westlichen Geschmack.
Der Fußboden war von einem so dicken weißen Teppich bedeckt, dass Annie am liebsten mit bloßen Zehen darin versunken wäre. Eine Wand war verspiegelt, eine andere ganz aus Glas, die den Blick auf den Sund und den Wald freigab. Und die wenigen Möbelstücke im Schlafzimmer waren von ausgesuchter Schönheit – ein Toilettentisch aus Teakholz, eine dazu passende Kommode, ein Schaukelstuhl aus Biegeholz. Und ein Bett. Ein gewaltiges rundes Bett, das erhöht auf einer Plattform unter einem sechseckigen Oberlicht stand und um das unzählige Bahnen schwarzweißer Seide drapiert waren.
Annie versuchte, Ruhe zu bewahren. Sie hielt den Atem an und zählte langsam bis zehn. Doch es half nichts. Das Einzige, woran sie denken konnte, war Chase, der mit betont
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