Julia Festival Band 86
wollte. Sie straffte sich und lächelte ihn ebenfalls an.
„Warum sollte ich Sie beschimpfen, Mr. Romano, da Sie doch so sicher sind, dass Sie alle Antworten besitzen?“ Sie drehte sich um und begann, die Treppe hinaufzugehen. Deutlich spürte sie seinen Blick, zwang sich jedoch, sich nicht umzusehen, bevor der richtige Moment gekommen war. „Aber das tun Sie nicht“, fuhr sie fort und wandte sich um. „Nicht wenn Sie glauben, diese kleine Vorstellung gerade sei allein die Ihre gewesen.“
Zufrieden stellte sie fest, dass Joe aufhörte zu lächeln. Er presste die Lippen zusammen und kam auf sie zu. „Lügnerin!“
Lucinda drehte sich um und floh in ihr Zimmer.
Joe saß an seinem Schreibtisch in der Bibliothek und wartete. Vor fünf oder zehn Minuten hatte Lucinda oben die Tür zugeschlagen, und seitdem hatte er nichts mehr von ihr gehört.
Eigentlich konnte es nicht mehr lange dauern, bis sie die Treppe herunterkam und aus seinem Haus und seinem Leben verschwand. Danach würde er seine Großmutter anrufen und sie von ihrer Qual erlösen, ihr aber auch noch einmal energisch erklären, sie solle sich in Zukunft aus seinen Angelegenheiten heraushalten.
Ja, und dann würde sein Leben endlich wieder normal verlaufen.
Joe atmete tief aus und stand auf. Er hatte schon viel zu viel Zeit durch diesen ganzen Unsinn verloren. Es war Samstag, und er hatte noch einiges zu tun. Er musste zum Beispiel die rothaarige Frau anrufen, die er am Mittwoch auf der Kunstausstellung kennengelernt hatte. Sie hatten sich für heute Abend verabredet, allerdings keine feste Zeit ausgemacht, wann er sie abholen sollte. Wie hieß sie noch gleich? Irgendetwas mit „lee“ am Ende. Kimberlee? Beverlee? Sara …
Ärgerlich blickte er in die noch immer leere Diele. Wozu brauchte Blondie denn so lange? Genervt nahm er sein Adressbuch und blätterte darin. Ja, Marilee hieß die Rothaarige, und hier stand auch die Telefonnummer. Er tippte sie in den Apparat, und nach dreimaligem Klingeln meldete sich eine erotisch klingende Stimme.
Sofort ließ seine Anspannung nach. Dieses „Hallo“, sagte ihm alles, was er wissen musste. Marilee würde einem Mann nicht den Kopf abreißen. Sie würde ihre Reize nicht absichtlich verbergen. Und sie würde ganz bestimmt nicht vorgeben, dass ihre Reaktion auf ihn nur gespielt sei.
„Verdammt“, fluchte Joe und legte wieder auf.
Er schob die Hände in die Hosentaschen und begann, in der Bibliothek auf und ab zu gehen. Endlich hörte er Schritte auf der Treppe. Als er die Zimmertür ganz öffnete, sah er Lucinda neben ihrem Koffer in der Diele stehen.
„Ich bin dann so weit“, sagte sie.
„Das freut mich.“
Allerdings machte er keinen erfreuten Eindruck. Joe blickte sie finster an, hatte die Lippen zusammengepresst und die Arme vor der Brust verschränkt. Aber sie wusste, wie er es gemeint hatte, denn sie empfand ebenso.
Doch bevor sie sein Haus verlassen konnte und ihn für immer vergessen würde, musste sie noch eine unangenehme Situation durchstehen. Sich darauf vorzubereiten hatte sie einige Zeit gekostet.
Mit Packen war sie in fünf Minuten fertig gewesen, denn sie hatte ihre Sachen einfach nur wütend in den Koffer geworfen. Aber als sie dann ihre Handtasche genommen hatte, war ihr mit Schrecken bewusst geworden, dass sie nur noch fünfundzwanzig Dollar besaß.
Sie hatte ganz weiche Knie bekommen bei dem Gedanken, ohne Job, Wohnung und vor allem Geld dazustehen. Und dann hatte sie sich daran erinnert, dass sie einen wenn auch grässlichen Tag bei Joe Romano als Angestellte verbracht hatte.
Dafür musste er sie bezahlen.
Ihn um ihren Lohn zu bitten würde zwar entsetzlich demütigend sein, doch eins hatte sie in den vergangenen Monaten gelernt. Man tat, was man tun musste, wenn es ums Überleben ging.
Lucinda räusperte sich. „Mr. Romano, Sie schulden mir noch Geld.“
„Wie bitte?“
„Ich habe fast …“ Sie sah auf ihre Armbanduhr. „Ich habe hier fast sieben Stunden gearbeitet. Dafür steht mir …“
„Was haben Sie getan, Miss Barry?“
„Ich habe sieben Stunden als Ihre Angestellte verbracht. Das heißt, dass Sie mir dafür Geld schulden …“
„Wir scheinen ein Kommunikationsproblem zu haben.“ Joe schob die Hände in die Gesäßtaschen seiner Jeans und kam auf sie zu. „Sie haben von ‚arbeiten‘ gesprochen.“
„Das stimmt. Sie haben mich heute Morgen um acht Uhr eingestellt und um drei Uhr wieder entlassen. Das …“
„Sie haben mir heute Morgen um
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