JULIA FESTIVAL Band 97
Ohren kommen würde.
Nachdem er den Wagen auf der anderen Straßenseite abgestellt hatte, stieg er aus und ging auf die weiß gestrichene Haustür zu. Dann klingelte er und wartete ungeduldig. Als er schon dachte, niemand wäre da, sah er aus den Augenwinkeln, dass jemand am Fenster neben der Tür die Gardine ein Stück zurückgezogen hatte. Er wandte den Kopf und begegnete Helens Blick.
Helen wirkte mindestens genauso schockiert, wie er es war, und blickte ihn unverwandt an, bis er ihr bedeutete, ihm zu öffnen. Nachdem sie einen Moment gezögert hatte, ging sie vom Fenster weg.
Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis sie zur Tür kam. Aber schließlich öffnete sie diese einen Spaltbreit, ohne den Knauf loszulassen.
„Hallo“, grüßte Milos betont fröhlich. „Erinnerst du dich an mich?“
Sie presste die Lippen zusammen. „Ja, natürlich.“
Wieder trug sie die verwaschenen Jeans, diesmal allerdings mit einem weißen T-Shirt. Ihre Knospen zeichneten sich deutlich darunter ab, und es kostete ihn Mühe, den Blick abzuwenden und sich ins Gedächtnis zu rufen, warum er hier war.
„Du bist heute nicht im College“, stellte er fest.
„Offensichtlich nicht“, konterte sie. „Was wollen Sie, Mr. Stephanides? Ich muss lernen.“
„Darf ich reinkommen?“
Eigentlich hatte er das nicht fragen wollen, und deshalb war er auch nicht überrascht, als Helen den Kopf schüttelte. „Meine Mutter ist nicht da“, sagte sie. „Sie arbeitet halbtags im Supermarkt. Sie können gegen halb zwei wiederkommen, dann müsste sie da sein.“
Er stützte sich an der Wand ab und runzelte die Stirn, als sie alarmiert zurückwich. „Ich bin deinetwegen hier, Helen“, erklärte er. „Dein Vater möchte, dass ich mit dir rede. Ihm ist sehr daran gelegen, dass du ihm verzeihst.“
„Darauf wette ich.“ Ihre Bitterkeit wirkte nicht ganz so überzeugend. „Mein Vater schert sich einen Dreck um mich. Er hat unsere Familie für immer zerstört, als er uns verlassen hat.“
Milos seufzte. „Er hat deine Mutter verlassen, nicht dich.“
„Und das rechtfertigt sein Verhalten?“
„Nein …“ Obwohl er nicht alle Einzelheiten kannte, konnte er nachvollziehen, dass Sams Verhalten aus ihrer Sicht unverzeihlich war. „Aber er ist trotz allem dein Vater. Er liebt dich.“
„Sicher.“
„Außerdem hat er versucht, sich mit dir in Verbindung zu setzen. Deine Mutter hat es jedes Mal unterbunden.“
Helen verzog den Mund. „Das wollen Sie also – mich davon überzeugen, dass er nicht der Mistkerl ist, für den ich ihn halte?“
Nun zögerte Milos. Wenn er ihre Frage bejahte und sie ihn hinauswarf, hatte er seine Chance verspielt. Wenn er Nein sagte, konnte er seinen Besuch nicht mehr rechtfertigen. Und dass er sich zu ihr hingezogen fühlte, konnte er ihr schlecht beichten. Sie war viel zu jung für ihn.
Oder nicht?
„Wie ich bereits sagte, mache ich hier Urlaub.“ Tatsächlich war er geschäftlich in England. „Dein Vater hat mich gebeten, dich zu besuchen. Was ist schon dabei? Er möchte sich mit dir versöhnen. Wenn es nicht geht, dann eben nicht.“
„Es geht nicht.“
Eine hektische Röte überzog ihre Wangen. Milos sehnte sich danach, Helen zu berühren, zu streicheln. Sie war so selbstsicher, so stark und doch so verletzlich. Ihre Unschuld faszinierte ihn. Helen hatte keine Ahnung, was sie ihm antat.
Ein weniger überheblicher Mann hätte in diesem Moment aufgegeben. Er tat es nicht. Milos redete sich ein, dass er sie irgendwann umstimmen würde, aber das war nicht der Grund, warum er sie wiedersehen wollte. Sie bezauberte ihn.
„Poli kala“, meinte er zerknirscht. „Ich habe es versucht.“ Er hatte zur Straße geblickt, als wollte er sich zum Gehen wenden, und dann einen folgenschweren Entschluss gefasst. „Ich weiß, dass du jetzt lernen musst, aber können wir nicht wenigstens heute Abend etwas trinken gehen?“
„Milos?“
Helens Stimme riss ihn aus seinen Gedanken, und es dauerte einen Moment, bis Milos sich gefangen hatte. Die Erinnerungen an seine Englandreise waren ebenso lebhaft wie schmerzlich, und es fiel ihm schwer, zwischen Vergangenheit und Gegenwart zu trennen.
9. KAPITEL
„Ist alles in Ordnung?“
Helen war einen Schritt näher gekommen, wich jedoch schnell zurück, als Milos sie ansah. Anscheinend hatte sie sich Sorgen um ihn gemacht, weil er ihr nicht zuhörte.
„ Mia khara. Es geht mir gut.“ Er strich sich durchs Haar und merkte dabei, dass ihm feine Schweißperlen auf
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