JULIA FESTIVAL Band 97
dafür bezahlen müssen. Das ist alles.“
„Du weißt, dass der Besitzer die Galerie aufgeben will?“ Tess war verblüfft.
„Natürlich. Ich bin doch nicht dumm. Der Laden lohnt sich nicht, und Scottolino ist Geschäftsmann. Er wird mir keine Abfindung zahlen. Ich arbeite ja noch kein Jahr für ihn.“
Tess schluckte. „Und du bist überzeugt, die Castellis werden bezahlen?“
„Ja.“ Ashley nickte. „Sie werden beinahe alles tun, um mich loszuwerden. Als ich Marco vorgeschlagen habe, an dem Malkurs bei Carlo Ravelli teilzunehmen, habe ich nicht geahnt, dass er es geheim halten wollte. Aber es war eine gute Idee. Ich muss zugeben, ich war überrascht, dass alles so glatt ging. Doch es wusste ja auch niemand genau, wo wir waren.“
„Ist es dir völlig egal, dass Marcos Familie sich Sorgen gemacht hat?“
„Es tut mir leid, wenn die Leute sich aufgeregt haben.“ Ashley zuckte die Schultern. „Es ist jedoch nicht meine Schuld. Außerdem bin ich den Castellis keine Rechenschaft schuldig. Als Silvio mich voriges Jahr auf das Winzerfest mitgenommen hat, haben sie sich mir gegenüber ausgesprochen arrogant verhalten, außer Marco natürlich. Ich habe mich mit ihm auf Anhieb verstanden.“ Sie lächelte. „Am nächsten Tag hat er mich in der Galerie besucht.“
„Du hast ihn ermutigt“, stellte Tess fest.
„Das war gar nicht nötig. Ich war wahrscheinlich die Erste, die seinen Wunsch, malen zu lernen, ernst genommen hat. Sein Vater hat keine Zeit für solche Sachen, und seine Großmutter behandelt ihn wie ein Kind.“
„Das ist er ja auch noch.“
„Er ist ein Teenager“, entgegnete Ashley. „Kennst du viele Teenager, die ihre Eltern um Erlaubnis fragen müssen, wenn sie aus dem Haus gehen wollen?“
„Du übertreibst.“
„Meinst du? Du hast ja keine Ahnung. Ich bin überrascht, dass Marcos Vater höchstpersönlich mit dir geredet hat. Normalerweise schickt er einen Mitarbeiter, um solche Dinge zu regeln.“
„Vielleicht hat er sich um seinen Sohn mehr Sorgen gemacht, als du gedacht hast“, wandte Tess ein. „Es stimmt doch, dass Marco sich erst für die Malerei interessiert, seit er dir begegnet ist, oder?“
„Hat das sein Vater behauptet? Offenbar hast du dich länger mit ihm unterhalten. Was hat er sonst noch gesagt? Hat er mich überhaupt erwähnt?“
Jetzt reichte es Tess. „Ist das so wichtig?“ Sie stand auf und band den Gürtel des Morgenmantels fester. Sie musste unbedingt duschen und sich vergewissern, dass die Liebesnacht mit Raphael keine sichtbaren Spuren auf ihrem Körper hinterlassen hatte. „Am besten rufst du deine Mutter an. Sie macht sich Sorgen, und ich habe ihr versprochen, du würdest dich gleich nach der Rückkehr melden.“
„O ja. Du hast mich verpetzt“, warf Ashley ihr vor. „Hättest du nicht deinen Verdacht für dich behalten können?“
„Ich habe dich nicht verpetzt, sondern so getan, als wüsste ich nicht genau, wo du bist, und als wäre es ein Missverständnis zwischen dir und mir. Aber eigentlich verstehe ich selbst nicht mehr, warum ich ihr nicht die Wahrheit gesagt habe.“
„Weil du mich lieb hast.“ Diese Erklärung schien Ashley so gut zu gefallen, dass sich ihre Miene aufhellte. „Es ist gut, wieder zu Hause zu sein. Jetzt werde ich erst einmal lange und ausgiebig duschen. Das habe ich verdient, oder?“
Tess schüttelte den Kopf. „Willst du nicht zuerst deine Mutter anrufen?“
„Oh, das mache ich später.“ Ashley machte eine wegwerfende Handbewegung. „Zieh dich doch an. Dann kannst du uns etwas zu essen holen.“
„Ich muss auch duschen“, sagte Tess leise vor sich hin, während ihre Schwester mit dem Koffer ins Schlafzimmer ging. Plötzlich erinnerte Tess sich daran, wie zerwühlt das Bett war und dass die Weinflasche und die Gläser noch auf dem Nachttisch standen.
In dem Moment schrie Ashley auch schon zornig auf. „Was, zum Teufel, bedeutet das?“ Sie erschien mit der Flasche in der Hand an der Tür. „Mit wem warst du zusammen? Behaupte jetzt nicht, du hättest den Wein allein getrunken. In dem Zimmer riecht es nach Alkohol und Sex!“
12. KAPITEL
Raphael saß in seinem Arbeitszimmer und kontrollierte die neuesten Verkaufszahlen, als seine Mutter um kurz nach elf hereinstürmte.
„Ich weiß, wo Marco und diese Frau sind“, verkündete sie triumphierend. „Sie sind im Haus des wenig bekannten Malers Carlo Ravelli. Er bietet Ferienmalkurse an. Die Leute bezahlen viel Geld für den Unterricht, Unterkunft
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