JULIA FESTIVAL Band 97
kurz. „Und ich habe überlebt, wie man so sagt.“
Tess atmete tief aus und ging langsam in den Raum. „Du hast überlebt?“, wiederholte sie. Meinte er das ironisch? „Warst du krank?“ Sie blieb stehen und blickte ihn über den Schreibtisch hinweg an.
„Würde es dich interessieren, wenn es so wäre?“
„Natürlich.“ Sie schluckte. „Aber du bist oder warst nicht krank, oder? Weshalb bist du hier? Falls du Ashley suchst, sie wohnt nicht in meiner Nähe. Das habe ich dir schon in San Michele erzählt.“
Seine Miene wurde hart. „Ich bin nicht wegen deiner Schwester hier. Du liebe Zeit, Tess, müssen wir immer über sie reden? Ich bin deinetwegen gekommen, ob du es glaubst oder nicht. Es war nicht leicht, dich zu finden. Hast du eine Ahnung, wie viele Schulen es in und um Buxton gibt?“
Nervös sah Tess sich um. Sie hatte die Tür aufgelassen und wollte nicht, dass ihnen jemand zuhörte.
„Wir sind allein, Tess“, erklärte Raphael beruhigend, als hätte er ihre Gedanken erraten. „Was hast du bei meinem Anblick empfunden?“
„Ich … war überrascht“, erwiderte sie leise.
Er zog die Augenbrauen hoch. „Dann hasst du mich nicht mehr?“
„Ich habe dich nie gehasst. Das habe ich auch nie behauptet.“
„Aber als du an dem letzten Abend mit deiner Schwester zurück nach San Michele gefahren bist, warst du zumindest zornig auf mich“, erinnerte er sie ruhig. „Das hat mich sehr beschäftigt.“
„Es tut mir leid.“ War er nur gekommen, um zu hören, dass sie ihm verziehen hatte? Zuzutrauen war es ihm. „Ich habe mich nur … gedemütigt gefühlt. Das ist alles. Später ist mir bewusst geworden, dass du wahrscheinlich deinen Sohn schützen wolltest.“
Raphael fluchte leise, während er die Hände aus der Tasche nahm und sich durchs Haar fuhr. „Mein Sohn kann auf sich selbst aufpassen“, erklärte er hart. „Ich habe mir Sorgen um dich gemacht. Deshalb wollte ich vor deinem Rückflug unbedingt noch einmal mit dir reden. Du hast so verletzlich gewirkt und warst so loyal. Ich wollte dir zeigen, wie skrupellos deine Schwester ist. Aber ich habe alles verdorben.“
Tess fehlten die Worte, und sie schüttelte hilflos den Kopf. Offenbar gab er sich selbst die Schuld an allem, was geschehen war.
„Es ist nicht mehr wichtig. Ich habe es überwunden.“ Sie bemühte sich, die Stimme emotionslos klingen zu lassen. „Bleibst du länger in England?“
Er atmete tief aus und verzog die Lippen. „Was soll ich darauf antworten? Ich bleibe so lange, bis ich dich überredet habe, im Sommer wieder nach Italien zu kommen.“
Tess war verblüfft. „Na ja, ich würde gern noch einmal nach Italien reisen“, begann sie. „Aber …“
„Offenbar habe ich mich nicht klar genug ausgedrückt“, unterbrach er sie. „Ich wünsche mir, dass du zu mir in die Toskana kommst. Marco verbringt die Sommerferien in Frankreich. Er arbeitet auf einem Weingut an der Loire. Wir beide wären ganz allein. Doch falls dich das stört, könnte ich meine Mutter bitten, Anstandsdame zu spielen.“
Ungläubig blickte Tess ihn an. „Warum möchtest du, dass ich zu dir komme?“
Er ignorierte die Frage und fuhr fort: „Lucia ist der Meinung, du würdest den Vorschlag sowieso ablehnen. Sie meint, ich sei zu alt für dich. Natürlich hat sie recht, trotzdem musste ich dich sehen.“
„Warum möchtest du, dass ich zu dir komme?“, fragte sie noch einmal. „Raphael, was genau bietest du mir an? Einen Urlaub in der Sonne? Oder soll es so etwas wie eine Entschädigung für das sein, was du Ashley vermeintlich angetan hast?“
Raphael senkte den Kopf. „Es ist weder das eine noch das andere“, antwortete er rau. „Eigentlich möchte ich vor allem wissen, ob du mir noch eine Chance gibst.“
„Wozu?“ Tess fing an zu zittern.
„Um dir zu beweisen, dass ich dich gern habe. Ich möchte dir beweisen, dass ich nicht der arrogante Kerl bin, für den du mich hältst.“
Sie glaubte zu träumen. Ihre Verwirrung stand ihr im Gesicht geschrieben. Doch Raphael deutete es falsch.
„Wenn du meinst, ich sei zu alt für dich, muss ich es akzeptieren. Oder wenn es hier jemanden gibt, den du liebst, solltest du es mir sagen. Ich bin gekommen, um mir Klarheit …“
„Hör bitte auf, Raphael“, unterbrach sie ihn.
„Okay, wenigstens bist du ehrlich.“ Er wirkte plötzlich müde und hatte Mühe, sich zusammenzunehmen. „Bestell Mrs. Peacock bitte, ich sei ihr sehr dankbar dafür, dass wir ihr Büro benutzen
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