JULIA FESTIVAL Band 97
dafür einen wütenden Blick.
„He, du bist nicht mein Dad, Chris!“, rief Luis. „Hat Olivia nicht das letzte Wort?“
4. KAPITEL
Als die Fähre in den kleinen Hafen von San Gimeno einlief und die Jachten und anderen Boote, die dort vertäut waren, auf den Wellen schaukelten, stand Christian an der Reling. Weil das Schiff, das auch als Versorgungsschiff diente, das einzige große Boot im Hafen war, bedeutete seine Ankunft jedes Mal ein kleines Ereignis.
Doch obwohl der Hafenmeister erschien und seinem Assistenten beim Vertäuen half, lief alles sehr gemütlich und langsam ab. Zu langsam nach Christians Geschmack.
Dass er mit dem Hubschrauber nur bis Nassau geflogen war und von dort die Fähre genommen hatte, war allerdings seine freie Entscheidung gewesen. Denn ohne weiteres hätte er seinen Piloten auch bitten können, ihn nach dem Termin in Nassau noch das vergleichsweise kurze Stück bis nach San Gimeno zu fliegen. Aber er hatte ihn lieber in dem Glauben gelassen, dass er die gesamten vier Tage in Nassau verbringen würde.
Immerhin war es ihm gelungen, Geschäftliches mit Privatem zu verbinden. Vor seinem Tod hatte Tony geplant, eine Zweigstelle auf den Bahamas zu eröffnen, und dieser Besuch war die ideale Gelegenheit, Tonys Idee weiter voranzutreiben.
Als er daran dachte, wie sehr Olivia diese Einstellung verabscheute, zog er eine Grimasse. Aber sie hatte ihn nie gemocht und ihm nie vertraut. Und sie hatte nie verstanden, wie dankbar er Tony für die Chance war, die dieser ihm vor Jahren gegeben hatte. Allerdings verachtete sie ihn nicht wegen seiner Zielstrebigkeit, sondern weil sie glaubte, dass er immer nur seine eigenen Interessen verfolgte.
Wie wenig sie doch von ihm wusste!
Nachdem man die Fähre vertäut hatte, ging Christian die Gangway hinunter. Außer der obligatorischen Aktentasche, in der sich neben einigen persönlichen Gegenständen nur sein Laptop befand, hatte er kein Gepäck dabei. Und obwohl er mit dem schwarzen Poloshirt und der Cargohose ganz anders als sonst und eher lässig gekleidet war, hob er sich deutlich von den anderen Passagieren ab, die vorwiegend T-Shirts und Shorts trugen.
Auf dem Kai blickte Christian sich um. Überall standen Kisten mit gekühltem Fisch, Säcke mit Okraschoten, Bohnen, verschiedenem anderem Gemüse und Bananen. Erst in diesem Moment wurde ihm klar, dass er noch gar nicht wusste, wie er zu Olivias Villa gelangen sollte, die im Süden der Insel lag. Zumindest das hatte Luis ihm erzählt, als sie am Freitag miteinander telefoniert hatten. Allerdings hatte Christian ihn nicht nach dem Weg fragen können, ohne sich zu verraten.
Über dem Hafen schmiegten sich die bunten Häuser der kleinen Stadt an den Hügel. Die Hauptstraße schlängelte sich den Berg hinauf, gesäumt von Schuppen, in denen man von Babysachen bis zur Tauchausrüstung alles kaufen konnte. Von irgendwoher wehte der unwiderstehliche Duft von Eiern mit gebratenem Speck Christian in die Nase. Doch er hatte keinen Hunger.
War er etwa nervös?
Die Vorstellung machte ihn wütend. Schließlich war es sein gutes Recht, Luis zu besuchen. Dafür musste er niemanden um Erlaubnis fragen. Aber warum war er dann mit der Fähre gekommen anstatt mit dem Firmenhubschrauber?
Weil ich kein Aufsehen erregen wollte, sagte er sich. So oder so würde Olivia sich über seinen Besuch nicht freuen. War es denn wirklich so schlimm, wenn er sie überraschte?
Aber wie sollte er auf die Südseite der Insel gelangen? Bisher hatte er nirgends ein Taxi oder einen Bus entdeckt. Es war Sonntagmorgen, und wenn die Fähre nicht angelegt hätte, wäre sicher noch niemand auf den Beinen.
Am Ende der Straße las er auf einem Straßenschild, dass Cocoa Beach sieben Kilometer entfernt war. Mit dem Fahrer eines Pick-ups, der langsam die Straße entlangfuhr, vereinbarte Christian, dass dieser ihn für ein großzügig bemessenes Fahrgeld dorthin brachte.
Auch wenn der Wagen schlechte Stoßdämpfer und Bremsen hatte, fuhr er zumindest in die richtige Richtung. Denn Christian wusste, dass Olivia in Cocoa Beach wohnte und ihre Villa am Meer lag.
Nachdem der Fahrer das Geld entgegengenommen hatte, hüllte er sich in Schweigen. Dafür drehte er das Radio laut auf und stellte einen Sender ein, der nur Reggae und Rap spielte. Als sie das andere Ende der Insel erreichten, dröhnte Christian der Schädel.
Cocoa Beach war ein friedlicher kleiner Ort mit weiß getünchten Häusern. Vom Ozean her wehte eine sanfte Brise, die seine
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