JULIA FESTIVAL Band 98
vorstellen, dass der Morgen mit einem anderen Mann auch so unkompliziert gewesen wäre.
Sie schaute von ihrem Teller auf und hätte gern mit Gage über ihre Gedanken gesprochen, als sie seinen abwesenden, von Schmerz erfüllten Blick bemerkte. Sie wusste sofort, dass er sich an das erinnerte, was er erst am Abend zuvor erfahren hatte, und ihr Herz zog sich vor Mitleid zusammen.
Sie seufzte und zog damit seine Aufmerksamkeit auf sich. „Was?“
„Ich wünschte mir, ich könnte irgendetwas sagen, womit du dich besser fühlst.“
„Leider ist das nicht möglich.“
„Ich weiß.“
Alles hatte sich für ihn verändert. In einem einzigen Moment war das Fundament seines Lebens zerstört worden – sein Anker. Er war immer stolz darauf gewesen, dass die Reynolds bereits in der fünften Generation in Possum Landing lebten. Er war der Sohn seines Vaters gewesen. Er war …
Sie runzelte die Stirn. „Gage, ich verstehe ja, wie sehr es dich schockieren muss, dass Ralph Reynolds nicht dein Erzeuger ist, aber deswegen kann er doch dein Vater sein.“
Er sah sie mit unbeweglichem Gesicht an. „Er ist nicht mein Vater.“
„Warum sagst du das? Nicht nur die Biologie zählt, sondern vor allem das Herz. Er hat dich von der Sekunde an geliebt, in der du geboren wurdest. Er hatte dich erzogen, dich unterstützt und sich für dich verantwortlich gefühlt. Er ist zu jedem Football- und Baseballspiel gegangen, in dem du gespielt hast. Er hat dir das Fischen und das Autofahren beigebracht.“
„Wie konnte er mich geliebt haben“, erwiderte Gage bitter. „Seine Frau hat ihn betrogen. Und ich bin das Ergebnis dieses Betrugs.“
Sie hatte auch nicht alle Antworten, aber dass Ralph Reynolds Gage geliebt hatte, war so sicher wie das Amen in der Kirche. „Niemand, der euch beide zusammen gesehen hatte, konnte die Zuneigung, die ihr füreinander empfandet, infrage stellen. Die Liebe zu dir leuchtete aus seinen Augen. Das kannst du nicht leugnen.“
Gage zuckte die Schultern, als ob er sich nicht sicher wäre, ob er ihr glauben sollte. Kari wusste, dass sie ihn im Moment nicht überzeugen konnte. Sie hoffte nur, dass Gage mit der Zeit erkennen würde, wie sehr Ralph ihn geliebt hatte.
Da sie ihn nicht zu sehr bedrängen wollte, wechselte sie das Thema und sprach über die weiteren Renovierungen, die sie im Haus ihrer Großmutter vornehmen wollte. Sie hatte sich beiden gerade die letzte Tasse Kaffee eingegossen, als es an der Tür klopfte.
„Willst du, dass ich aufmache?“, fragte sie, als Gage keine Anstalten machte aufzustehen.
Beide wussten, wer es war. Edie kannte den Tagesablauf ihres Sohnes, und ein Blick auf die Uhr verriet Kari, dass Gage sich erst in einer Stunde auf den Weg zur Sheriffstation machen musste.
Sie erhob sich und ging langsam zur Tür hinüber. Unwillkürlich musste sie daran denken, dass es nicht gut aussah, wenn sie bereits so früh am Morgen bei Gage war. Was würde Edie denken? Doch dann beruhigte sie sich damit, dass Gages Mutter nach den Ereignissen des gestrigen Abends bestimmt andere Sorgen hatte, als darüber nachzudenken, warum Kari bereits bei ihrem Sohn war. Sie öffnete die Tür.
„Hallo, Edie“, nahm sie die Mutter von Gage freundlich in Empfang, als sie ihren leidvollen Gesichtsausdruck sah. Edie sah plötzlich so alt und müde aus, als ob man ihr die Lebensenergie ausgesaugt hätte.
Edie nickte wortlos und trat ein. Sie schien nicht überrascht zu sein, Kari zu sehen. „Wie geht es ihm?“
„Den Umständen entsprechend ganz gut. Aber er ist immer noch verwirrt und wütend.“
„Das verstehe ich“, erwiderte Edie gequält.
„Er ist in der Küche“, sagte Kari aufmunternd. „Ich wollte gerade Kaffee machen. Möchten Sie auch eine Tasse?“
„Nein, danke.“
Spontan berührte Kari den Arm der Frau. „Er wird darüber hinwegkommen“, versicherte sie. „Er braucht einfach Zeit.“
„Ich weiß.“ Tränen standen in Edies Augen, aber sie blinzelte sie tapfer weg, als sie Kari in die Küche folgte.
Gage räumte gerade die Geschirrspülmaschine ein und drehte sich nicht um, als er die Schritte der beiden Frauen hörte. Na großartig, dachte Kari, er hat also vor, es allen Beteiligten so schwer wie möglich zu machen.
„Gage, deine Mutter ist hier.“
„G…gage?“, ließ Edie sich mit bebender Stimme vernehmen.
Er stellte den letzten Teller in die Maschine und drehte sich dann erst um. Kari stockte der Atem. Sein Gesicht war so hart, als ob es aus Stein
Weitere Kostenlose Bücher