Julia Gold Band 47
ihr Puls beschleunigte sich. Auch er hatte sich verändert. Die Sorgenfalten auf seiner Stirn hatten sich geglättet, und sein Mund wirkte entspannt. Er rasierte sich nur noch einmal am Tag, was ihn verwegen aussehen ließ. Sie musste sich zusammenreißen, um nicht über sein Kinn zu streichen.
Wenn er sie so ansah, fühlte sie sich schön, geliebt und angenommen. Obwohl sie wusste, dass es nicht so war. Seine Familie liebte sie mehr, als er für sie empfand. Und deshalb würde sie nach Ende des Ehejahres nicht nur ihn, sondern auch seine Familie vermissen. Immerhin würde ihr ihre eigene Familie bleiben. Aber für die war sie nur die gute alte Emily. Hier war sie etwas Besonderes. Ein exotisches Wesen aus Amerika.
An den Abenden, wenn die ganze Familie zusammen aß, ging es festlich und ausgelassen zu. Sie waren so viele Personen, dass die Tische, auf denen das Büffet aufgebaut war, von einem Ende des Saals bis zum anderen reichten. Eines Abends gab es ein Lamm-Barbecue mit Couscous, gefüllten Datteln, Auberginen und Ziegenkäse.
Ben brachte ihr einen Teller mit lauter Köstlichkeiten und führte sie zu einem kleinen Tisch unter einem Sonnensegel. „Wie geht es dir? Du hast eben traurig ausgesehen. Bedauerst du …“
„Nein. Ich habe nur an meine Familie gedacht und mir gewünscht, sie könnte dies hier auch miterleben.“
„Wäre sie stolz auf dich? Wie gut du deine Rolle ausfüllst?“
„Ich weiß nicht. Vielleicht.“
„Du hast ziemlich viel mit deiner Familie gemeinsam. Ganz gewiss das Aussehen.“
Sie öffnete den Mund, um zu widersprechen, aber er legte einen Finger auf ihre Lippen. „Ich bin nicht der Einzige, der so empfindet. Alle erzählen mir, dass ich eine Schönheit geheiratet habe. Alle freuen sich, wie gut mir die Ehe bekommt.“
Sie betrachtete sein entspanntes gebräuntes Gesicht. Ja, wenn sie es nicht besser gewusst hätte, müsste sie ihnen tatsächlich recht geben. Aber was machte ihn so glücklich?
Er blieb unbeschwert bis zum Morgen der Zeremonie. Und sie auch. Dann holte sie die Wirklichkeit ein. Je näher die Stunde rückte, in der sie lügen mussten, desto mehr quälte sie das schlechte Gewissen. Beide litten einsam und ließen eine Mauer des Schweigens zwischen sich wachsen. Sie verstummten. Sie mieden sich und suchten die Nähe der anderen, bis es Zeit wurde, sich für das Fest herzurichten. Allein in ihrem Zimmer zogen sich beide wortlos um. Er stieg in seinen Frack, sie schlüpfte in ihr Hochzeitskleid.
Dann warteten sie. Die Sekunden dehnten sich zu Minuten, die Minuten zu Stunden. Die Nachmittagshitze wurde immer drückender. Als sie um fünf Uhr endlich gerufen wurden, fühlte Emily sich am Ende ihrer Kräfte, und Bens Nerven waren zum Zerreißen gespannt.
Die bevorstehende Zeremonie sollte nach dem Wunsch von Bens Eltern der feierliche Höhepunkt des Familientreffens werden. Dafür hatten sie ein riesiges achteckiges blau-weißes Zelt errichten lassen, das Schutz gegen die Sonne bot und die frische Brise durchließ, die vom Meer her wehte. Dort, wo die Paare ihren Schwur wiederholen sollten, war der Boden mit Mosaiksteinen belegt worden. Als Emily zögerte, darauf zu treten, nahm Ben ihre Hand.
Ab da hatte er nur noch Augen für Emily. Sie kam ihm bezaubernd vor in ihrem Hochzeitskleid. Schöner als all die anderen Ehefrauen, die auch den Eid leisten wollten, ja schöner als jede andere Braut der Welt. Und sie gehörte ihm. Er hielt ihre Hand und erinnerte sich an ihre Hochzeit in San Francisco, an das Gelübde und vor allem an den Kuss. Nachdem alle anderen Paare den Schwur geleistet hatten, kamen Ben und Emily an die Reihe. Ein kleines Orchester spielte traditionelle Harfenmusik, als sie vortraten.
Emilys Wangen waren unter der Sonnenbräune blass geworden. Ben verstärkte den Händedruck, aus Furcht, sie könnte fliehen. Seine Kehle fühlte sich wie zugeschnürt an, und er hoffte, dass er die Lüge über die Lippen brächte, um seine Eltern nicht unglücklich zu machen.
Er schwor erst in seiner Muttersprache, dann in Englisch, versprach, sie für immer zu lieben, zu ehren und bei ihr zu bleiben. Wie von Ferne hörte er, wie sie ihm das Gleiche versprach. Und in diesem Moment wurde ihm plötzlich klar, dass er mit Emily bis ans Ende seines Lebens verheiratet bleiben wollte.
Mit einem Mal fiel eine riesige Last von seinen Schultern. Er hätte lachen oder weinen und seine Gefühle in die Welt hinausschreien mögen. Stattdessen küsst er seine Frau mit einer
Weitere Kostenlose Bücher