Julia Gold Band 47
betrachtete sie die reich geschmückte Haremsfrau, die ihr entgegenblickte.
In feierlichem Geleitzug wurde Polly nach unten zu Königin Nurbahs Gemächern gebracht, vor denen die Beduinenfrauen zurückblieben. Raschids Mutter ruhte auf einem Tagesbett. Ihre schlaffen Züge verrieten, dass sie leidend war.
„Es tut mir leid, dass ich nicht aufstehen kann, um dich zu begrüßen“, sagte Nurbah warmherzig und reichte Polly die beringte Hand. „Der Arzt gestattet mir nicht, an den Feierlichkeiten teilzunehmen, was mich sehr schmerzt. Jezra, der Gürtel liegt auf dem Bett. Bitte übernimm diese Aufgabe für mich.“
Ihre Tochter legte Polly einen Silbergürtel um die Hüften und befestigte den mit einem tropfenförmigen Saphir besetzten Verschluss. Auf Pollys fragenden Blick wandte Jezra sich ab. „Das ist ein Fruchtbarkeitssymbol“, erklärte sie verlegen.
Zenobia verschleierte Pollys Gesicht, danach zog die Frauenschar weiter. In einem Raum, der wegen der einsetzenden Dunkelheit schwach beleuchtet war, wartete Raschid, bekleidet mit kostbaren dunkel-blauen Seidengewändern. Mit ausdrucksloser Miene betrachtete er Polly von Kopf bis Fuß, sodass sie nicht wusste, ob er sich über ihre Verwandlung in eine arabische Braut amüsierte oder sie als selbstverständlich hinnahm.
Die Trauungszeremonie war kurz. Außer dem Paar nahmen nur König Reija und einige Männer daran teil. Polly war so nervös, dass sie die arabischen Ehegelübde nur stockend wiederholen konnte.
Ihre Hand wurde mit einem grünen Tuch an Raschids Handgelenk gebunden, wenig später entfernte man den Stoff wieder. Bald darauf wurde Polly aus dem Raum geführt, dabei spürte sie, dass Raschids Blick ihr folgte.
In einem großen Empfangssaal voller Frauen kam eine hübsche junge Dame mit mandelförmigen Augen auf Polly zu. „Ich bin Chassa“, stellte sie sich vor und küsste Polly auf die Wange. „Und ich hoffe, wir werden Freundinnen. Mach dir keine Gedanken, wenn du dir die Namen all der Frauen nicht merken kannst, mit denen du gleich bekannt gemacht wirst.“
Nachdem Polly die Runde gemacht hatte, schwirrte ihr der Kopf. Nun begann das Festmahl, bei dem die erlesensten Speisen aufgetischt wurden. Das Stimmengewirr, das Klappern des Geschirrs und die Musik um Polly herum verstärkten ihre Kopfschmerzen, und sie brachte nur wenige Bissen hinunter.
Chassa saß neben ihr. Das Mädchen hatte ein englisches Internat besucht und berichtete Polly von seinen Mitschülerinnen in der Hoffnung, eine gemeinsame Bekannte zu entdecken. Polly kämpfte gegen die immer stärker werdende Müdigkeit an und hörte Chassas Stimme nur noch wie aus weiter Ferne.
Irgendwann an diesem Abend, der kein Ende zu nehmen schien, tippte Zenobia Polly auf die Schulter, um anzudeuten, dass die Braut jetzt gehen müsse. Chassa lächelte ihr verständnisinnig zu. Polly verließ der Mut.
Eine übermütige Frauenschar führte sie über lange Korridore, Durchgänge und eine breite Treppe zu einem großen Raum, der von einem mächtigen, kunstvoll geschnitzten Himmelbett beherrscht wurde. Als die Damen sich zurückzogen und die Tür hinter ihnen zufiel, war Polly, als würden jeden Moment die Beine unter ihr nachgeben.
4. KAPITEL
Polly war schon fast auf ein schauerliches Ritual gefasst gewesen und atmete jetzt etwas auf. Ein Fries ersetzte die Fensterscheibe, dahinter zeichnete sich der Mond als milchiger Ball am violett schimmernden Himmel ab. Doch die Schönheit der Nacht berührte Polly nicht.
Erschauernd wandte sie sich ab und fröstelte trotz der Wärme. Bis in diesen Palast schien das zwanzigste Jahrhundert noch nicht vorgedrungen zu sein. Sie war ihrem „Gebieter“ wie ein Geschenk geliefert worden, das er nun auspacken durfte.
Fahrig nahm sie Schleier und Kopfschmuck ab. Eine Duftwolke verbreitete sich um Polly, als sie ihr Haar ausschüttelte. Ihre Schläfen pochten, und sie fühlte sich elend.
Polly hörte, dass die Tür geöffnet und gleich darauf wieder geschlossen wurde. Mit klopfendem Herzen drehte sie sich um. Raschid hatte die Kopfbedeckung abgenommen und trug nur einen leichten cremefarbenen Hausmantel. Langsam kam er auf Polly zu und betrachtete sie verlangend.
„Ich bin erleichtert, dass du dich nicht ganz ausgezogen und mich im Bett erwartet hast“, bemerkte er ironisch und fasste sie bei den Schultern.
Sie versteifte sich, und ihr Kopf fühlte sich seltsam leer an. Undeutlich wurde ihr bewusst, dass es nicht nur die Angst war, die ihr zu schaffen
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