Julia Gold Band 47
bis der Staub sich gelegt hat, den Jezra mit ihrer unangebrachten Eröffnung aufgewirbelt hat. Wenn Raschid das Thema dann später anschneidet, ist der Schockeffekt verpufft, und alles findet sich irgendwie …
Raschid nahm Pollys Hand. „Ich habe das Gefühl, dich ständig kritisiert zu haben“, meinte er sanft.
„Wahrscheinlich glaubtest du, Grund dazu zu haben.“
„Nein. Ich neige dazu, voreilige Schlüsse zu ziehen und mit meinem Urteil zu schnell bei der Hand zu sein.“ Raschid zögerte und streichelte mit dem Daumen geistesabwesend die Innenseite ihres Handgelenks.
Nach einer Weile fragte er stirnrunzelnd: „Warum hast du mir nicht gesagt, dass dein Vater verschuldet war? Davon hatte ich keine Ahnung. Ich hatte angenommen, deine Familie sei wohlhabend, Polly.“
Verwirrt sah sie Raschid an. „Du wusstest nichts von Dads Schulden?“
„Nicht das Geringste. Jetzt jedoch kann ich mich des Verdachts nicht erwehren, dass der Brautpreis an deinen Vater gegangen ist, und nicht an dich. Du hast ihm das Geld gegeben, nicht wahr?“
Von Geben konnte eigentlich nicht die Rede sein. Polly erinnerte sich nur schwach, dass sie auf Wunsch ihres Vaters einige Papiere unterschrieben hatte. „Mag sein, aber …“
„Soweit ich weiß, war das Geld ausschließlich für dich bestimmt.“
„Für mich?“, wiederholte Polly benommen. „Was hätte ich damit anfangen sollen?“
Raschids Züge entspannten sich. „Ich hatte angenommen, dass du durch unsere Heirat eine reiche Frau würdest … dass du mich nur aus Geldgier geheiratet hast und von deinen Eltern in diesem Vorhaben bestärkt wurdest. Stattdessen musste ich jetzt erfahren …“
„Woher?“
„Du hast im Fieber gesprochen.“ Raschid ließ Pollys Hand los.
Verlegen senkte sie den Blick. „Das alles ist jetzt nicht mehr wichtig.“
Raschid war aufgestanden und ans Fenster gegangen. Langsam drehte er sich zu Polly um. „Im Gegenteil“, widersprach er ruhig. „Jetzt sehe ich dich, wie du wirklich bist. Du hast mich nicht aus Geldgier geheiratet, sondern um deiner Familie zu helfen. Was ich jetzt sage, wird dir nicht gefallen. Ich finde es beschämend, wenn Eltern ihre Tochter an einen Fremden verschachern.“
„So war es nicht“, versuchte Polly, ihre Familie in Schutz zu nehmen.
Raschid machte ein finsteres Gesicht. „Vergiss nicht, dass ich dabei war. Wenn ich nicht mit einer vorgefassten Meinung gekommen wäre, hätte ich vermutlich gleich gemerkt, wie die Dinge liegen. Eigentlich sagte dein Verhalten alles. Deine Eltern haben dich zu der Ehe gezwungen.“
„Die Entscheidung habe ich selbst getroffen.“
„Das nehme ich dir nicht ab“, widersprach Raschid kühl. „Wenn man eine Entscheidung getroffen hat, steht man dazu. Dazu warst du jedoch nicht in der Lage, als du mich geheiratet hast.“
Da Polly nicht wusste, worauf Raschid hinauswollte, schwieg sie vorsichtshalber. Aber er hatte ja recht. Sie dachte an ihre Verzweiflung und Panik bei der Hochzeitsfeier und fragte sich, warum sie ihre Situation jetzt völlig anders empfand.
Raschid seufzte. „Jetzt werde erst einmal wieder ganz gesund. Ich bin schon viel zu lange geblieben. Deine geschwätzige Krankenschwester wird mir die Hölle heiß machen. Schweigt sie eigentlich auch mal?“, setzte er trocken hinzu.
Polly lächelte matt. „Selten. Aber sie ist nett. Ich mag sie.“
„Dann war es ja richtig, dass ich sie geholt habe. Ich dachte, es würde dir lieber sein, eine englische Pflegerin um dich zu haben.“
„Danke für die Blumen“, flüsterte Polly scheu, als Raschid sich zum Gehen wandte. „Sie sind wunderschön. Mir hat noch niemand Blumen geschenkt.“
Sie ließ den Blick über das Blütenmeer um sich herum schweifen. Die Blumen haben ebenso wenig zu bedeuten wie Raschids Pflichtbesuch an meinem Bett, ermahnte sie sich. Es hätte nicht gut ausgesehen, wenn er seine kranke Frau vernachlässigt hätte.
„Nur noch zwölf Wochen bis Weihnachten, wer hätte das gedacht?“ Susan MacKenzie deutete unbeeindruckt auf den rötlich goldenen Sonnenball, der langsam am Horizont versank. „Ich kann es kaum erwarten, wieder im kalten England zu sein und mich in dicke Wollsachen zu hüllen. Wird Ihnen Weihnachten nicht wehmütig ums Herz werden?“
Pollys Augen wurden feucht. „Ja.“
„Lächeln“, befahl Susan. „Nun sind Sie doch fast wieder auf dem Damm. Nach zehn Tagen im Bett muss man ja trübsinnig werden. Sie brauchen Tapetenwechsel. Außerdem hat Ihr Mann eine
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