Julia Gold Band 51
immer wieder in den Ohren, als sich ihre beiden bedrohlichen Besucher mit untertänigen Verbeugungen verabschiedeten und sie allein ließen. Evie stand wie angewurzelt da und blickte unverwandt auf den Scheck und die Visitenkarte in ihren Händen. Sie war kreidebleich geworden und versuchte krampfhaft, nicht zu denken.
Denn Denken bedeutete Schmerz – den Schmerz, zu wissen, dass dies nun wirklich das „Ende der Sache“ bedeutete. Keine Hoffnung mehr. Kein Warten mehr. Raschid würde nicht durch diese Tür kommen und ihr sagen, dass sich alles zum Guten für sie gewendet hätte. Denn Raschid war in Abadilah bei Aisha.
Und auch sie, Evie, sollte jetzt nicht mehr hier in seiner Wohnung bleiben. Der Scheck und die Visitenkarte entglitten ihren kraftlosen Fingern. Mechanisch ging sie hinaus in den Flur, verließ die Wohnung und betrat den Lift, der sie nach unten brachte. Ebenso mechanisch verließ sie das Haus und hielt nicht einmal inne, als die Portiersfrau laut hinter ihr herrief.
Draußen war es immer noch sommerlich heiß. Ganz London stöhnte unter einer Hitzewelle, sodass Evie in ihrem leichten blauen Top und der weißen Baumwollhose im mittäglichen Großstadtgewimmel nicht auffiel. Eine Weile folgte ihr ein Wagen mit zwei Insassen, doch Evie nahm es gar nicht wahr. Schließlich bog sie in einen Gehweg ein, auf dem ihr kein Auto folgen konnte.
Eine Stunde … vielleicht sogar zwei Stunden später ging sie immer noch. Sie wusste selber nicht, welcher Instinkt ihre Schritte gelenkt haben mochte, doch plötzlich fand sie sich vor dem Haus ihrer Mutter wieder.
Sie klingelte. Es dauerte eine Weile, bis ihre Mutter öffnete. Beim Anblick ihrer Tochter wurde sie kreidebleich im Gesicht.
„Du liebe Güte, Evie!“, rief sie bestürzt aus. „Du blutest!“
Doch Evie hörte sie schon nicht mehr. Eine wohltuende Ohnmacht umfing sie und ließ sie ihrer Mutter zu Füßen sinken.
Sehr spät am selben Abend saß Lucinda Delahaye im Krankenhaus am Bett ihrer Tochter, als die Tür plötzlich aufging und Scheich Raschid Al Kadah hereinkam. Asim, sein treuer Diener und Leibarzt, folgte ihm auf dem Fuß.
Raschid wollte besorgt auf Evies Bett zugehen, doch Lucinda sprang auf und stellte sich sofort zwischen ihn und ihre Tochter. Entschlossen schob sie die beiden Besucher aus dem Krankenzimmer und machte die Tür energisch hinter sich zu.
„Wie können Sie es wagen, sich hier blicken zu lassen?“, fragte sie feindselig.
Raschid schien ihre Frage gar nicht zu hören. Sein Gesicht war aschfahl, aus seinen goldbraunen Augen sprach der Schock. „Was ist mit dem Baby?“
„Oh ja, das würde wohl all Ihre Probleme lösen, wenn sie es verloren hätte!“, fuhr Lucinda ihn an.
„Nein!“ Raschid wankte entsetzt. Als Asim ihn auffing und stützte, begriff Lucinda, dass Raschid sie falsch verstanden hatte.
„Nun, sie hat das Baby nicht verloren“, räumte sie das Missverständnis widerstrebend aus. „Aber es ist ein Wunder nach dem, was Ihre Spießgesellen ihr angetan haben!“
„Können wir irgendwo ungestört darüber reden?“, schlug Asim vor. Raschid schien am Boden zerstört und völlig unfähig, einen vernünftigen Gedanken zu fassen. Und aus irgendeinem unerfindlichen Grund schürte gerade das Lucindas Zorn.
„Sie wollen ungestört sein?“, zischte sie böse. „In Ordnung.“ Energisch ging sie den langen Flur entlang davon, und die beiden Männer folgten ihr.
Lucindas Mutter war nicht in der Stimmung für Höflichkeiten. Sie hatte die schlimmste Erfahrung ihres Lebens hinter sich – ihre Tochter wäre vor ihren Augen fast verblutet, und Scheich Raschid Al Kadah sollte dafür büßen!
„Wissen Sie, was diese beiden Männer ihr angetan haben?“, fragte sie, sobald sie mit Raschid und Asim im Wartezimmer angekommen war. „Sollte Evie Ihnen das je vergeben – ich gewiss nicht!“
„Es war ein Irrtum“, flüsterte Raschid, der sich immer noch nicht von dem ersten Schrecken erholt hatte.
„Und war es vielleicht auch ein Irrtum, dass Sie sich zwei Wochen lang nicht bei ihr gemeldet haben?“, fragte Lucinda unerbittlich.
„Ich hatte nichts Gutes zu berichten“, erklärte Raschid ihr heiser, „und hielt es für rücksichtsvoller, zu warten, bis ich ihr bessere Nachrichten überbringen konnte.“
„Rücksichtsvoller?“, spottete Lucinda. „Was war rücksichtsvoll daran, sie derart auf die Folter zu spannen? Sie hat ihren Kummer immer schon in sich verschlossen. Und ich dachte, Sie würden
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